Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
nicht.«
»Jene graubärtigen Krieger, seine Veteranen, die Säulen seines Ruhmes, die ihm nach Afrika gefolgt. Im Sonnenbrande der syrischen Wüsten war seine Mission erfüllt, er huldigte nicht der Thorheit, ein romantischer Alexander sein zu wollen, er dürstete nicht nach Eroberungen, die sich nicht halten lassen. Er musste zurück. Konnte er die Kranken, die Verwundeten durch die glühende Sandwüste mit schleppen? kaum seine Gesunden hielten die Strapazen aus! Sollte er die Unglücklichen dem Grimm barbarischer Feinde zurücklassen? Er war rasch entschlossen –«
»Sie nehmen das Gerücht für wahr an?«
»So wahr ich ihn ehre. Gewiß nach einem schweren Kampf. Wer trennt sich leichten Herzens von Denen, die uns die Theuersten sind. Aber als es ihm klar war, daß er sein musste, zauderte er keinen Moment Hand aus Werk zu legen. Durfte er sie erschießen, erschlagen lassen? Das durfte er nicht vor dem Urtheil der unmündigen Welt, nicht vor ihnen selbst. In süße Illusionen ließ er sie einwiegen, durch Opium bis – bis sie in süßen Träumen von dieser Welt schieden. Wie Mancher der Soldaten mag auf dem sauern Rückweg, unter Durst und Sonnenstichen erliegend, hülflos vielleicht zurückgelassen, weil er sich von der Kolonne verirrt, im Angesicht des Tigers, der Hyäne, deren Geheul seiner Witterung nachging, wie Mancher mag an die schnell und glücklich Gestorbenen in Accum zurückgedacht, ihr Loos beneidet haben! Napoleon ging an ihren Lagerstätten umher, seine Augen blitzten sie an; dem nickte er, dem drückte er die Hand, dem rief er ein baldiges Wiedersehn auf dem Felde der Ehre zu. Sie Alle richteten sich begeistert auf und riefen ihrem großem General ein Vivat!«
»Und im Leibe des –« hielt sie zusammenschaudernd inne.
Er spielte ein bedeutungsloses Fingerspiel. Er hatte sehr wohlgeformte aristokratisch weiße Hände. Ein sanftes Lächeln spielte um die Augen, die auf die Hände niedersahen:
»Wenn wir uns nur gewöhnen könnten die Dinge anzusehen nicht wie die Leute, sondern wie sie sind! Wir würden viel glücklicher sein, und weit mehr Glück um uns verbreiten. – Hätte der große Mann sich um den Katechismus und die Morallehrer und Gott weiß welche Gevattern und Muhmen gekümmert, was hätte er dann thun sollen? Etwa um die hunderte oder tausende Kranke nicht zu verlassen, selbst zurück bleiben, mit seinem schon geschmolzenen Heere, ohne Vorräthe, der wachsenden Zahl seiner Feinde, der Hitze, den neuen Krankheiten gegenüber? Er wäre, so wahr zwei mal zwei gleich vier ist, als Opfer gefallen. Dann hätten freilich alle alten Weiber und alle romantischen Seelen sein Lob gesungen, als Märtyrer, der sich selbst geopfert für Nothleidende, und wie viel Tausende mit, das ist ihnen gleichgültig; es ist doch eine edle That. Aber daß er alsdann eine andere Mission vergessen hätte, daß es galt sein großes Frankreich aus der Anarchie zu retten, die aufs Neue ihre Polypenarme ausstreckte, daran denken diese sentimentalen Gemüther nicht. Lieber die arme Fliege retten, die im Netz der Spinne sich gefangen hat, als zugreifen, wo die Gardine Feuer fängt, und das Haus kann verbrennen. Das ist die Moral, welche die sanften Seelen uns predigen.«
Er war aufgesprungen: »O wie glücklich könnte die Welt sein, wenn die Menschen es verständen, frei zu sein!« Er war sichtlich in einer Gemüthsbewegung. Man hörte Adelheids Stimme am Klavier.
»Was würden Sie thun?« wandte er sich plötzlich zur Lupinus. »Hier wäre Ihr Johann erkrankt, zu Ihren Füßen hingestürzt, und dort hörten Sie einen Schrei Ihrer Tochter – der tolle Mensch, durch's Fenster gestiegen, überfiele sie am Klavier. Oder, – er ist zwar zu allem fähig, – aber setzen wir nur den Fall, Sie wüssten, daß er wieder zu ihr eingedrungen, daß er sie mit seinen Verführungskünsten zu umgarnen sucht, was würden Sie, frage ich, zuerst thun? Dort nach Ihrem Schrank mit den Essenzen springen, um den Diener zu soulagiren, oder da nach dem Zimmer zu Ihrer Tochter? Ginge Ihnen der Diener oder die Tochter vor, der kranke Mensch, der doch über kurz sterben muß, oder das blühende junge Wesen?«
»Meine Tochter natürlich,« sagte die Lupinus. »Aber wenn der Mensch, der Johann, inzwischen stürbe? Was würde die Welt dazu sagen?«
»Was würden Sie dazu sagen? Das ist allein die Frage. Doch nichts anderes, als: dort droht ein unersetzlicher Verlust, hier kann ein Mensch sterben, für den der Tod eine Wohlthat ist. –
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