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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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Hatte er nicht Selle, der durch das Versehen des Dieners auch bestellt worden, so geschickt in die Konsultation zu ziehen gewusst, daß er die Verlegenheit der Geheimräthin nicht merkte.
    Wie gesagt, es war alles ausgeglichen, – zwischen ihnen, aber nicht die tiefe Falte auf ihrer Stirn. Noch heut verrieth sie den Riß in der Brust.
    »Ich werde gar keine Gesellschaften mehr geben,« hatte sie gesagt.
    »Gott sei Dank!« sagte er.
    »Warum?«
    »Weil Sie endlich zur Ueberzeugung kamen, daß man das für die Menschen sich opfern den Narren überlassen muß.«
    »Sie meinen doch nur für die reale Menschheit, die in ihren Flitterkleidern ihre Armseligkeit zu verbergen sucht.«
    »Und was ist die reale Menschheit? Sollen wir uns für den Begriff begeistern, der zwischen Adam und dem jüngsten Wiegenkinde liegt?«
    »Aber was ist der Mensch, der sich für nichts interessirt! Für irgend etwas muß er doch der Opfer fähig sein, er muß leben, oder er kehrt zum Thier zurück.«
    »Physiologen behaupten, daß jedes Menschengesicht eine Aehnlichkeit mit einer Espeçe derselben hat.«
    »So wäre es an uns, zu entdecken, mit welchem wir Verwandtschaft haben. Und wenn wir's wissen, sind wir am Rande unserer Erkenntniß.«
    »Moralisten behaupten, daß es alsdann unsere Aufgabe sei, dieses Thier zu bekämpfen.«
    »Mit welchen haben Sie zu kämpfen?« fragte die Lupinus.
    »Sie sind in aigrirter Laune, theuerste Frau. Das ist eigentlich die beste. Mit diesem moralischen Scheidewasser spülen wir am schnellsten die sensualen Auswüchse ab, die uns an unserm Glück hindern.«
    »Was verstehen Sie unter diesen Auswüchsen?«
    »Die sogenannten wohlwollenden Gefühle, die die ärgste Lüge sind, der Selbstbetrug, der uns am klaren Denken, am folgerechten Handeln hindert.«
    »Sie lenken von meiner Frage ab. Für was lebt der Mensch?«
    »Nur für sich selbst.«
    »Aber in dies Selbst schließen Sie die Ideen, Bestrebungen, Illusionen, wie Sie es nennen wollen, ein, die unser Dasein über das Vegetiren der Pflanze, über den Instinkt der Thiere erheben?«
    »Vielleicht.«
    »Warum nur bedingt? Sie wollen ihn noch nicht bewundern, aber Sie anerkennen Napoleon.«
    Er hatte mit unterschlagenen Armen, im Sopha zurückgelehnt, gesessen. Er sah sie scharf an: »Wollen Sie ein Napoleon werden?«
    »Thorheit!«
    »Fühlen Sie Beruf, eine Semiramis, Zenobia zu sein, oder eine Maria Theresia, Katharina«
    »Das liegt ganz außer meiner Sphäre.«
    »Das ist das Lösewort. Wer die Grenzen seiner Sphäre erkennt, weiß wofür er lebt. Er weiß auch, wie er leben soll, das heißt, er kennt die Mittel, mit denen er wirkt, bis wohin er wirken kann. Wenn er aber das weiß, weiß er auch, daß nichts ihn hindern darf, so zu wirken, wie er kann , sagen wir muß . Was man will und kann , muß man; es giebt keine höhere Aufgabe. Das aber ist die Krankheit unserer Zeit, das Siechthum unserer Halbwollenden, daß sie den großen Männern ihre großen Endziele abstehlen wollen. Haben sie Adlerflügel, Titanenkräfte? So flattern sie, wie die Motten, ins Licht und zerstoßen ihre blutwarmweichen Hirnschädel, mit denen sie Mauern einbrechen wollten, am ersten besten Zaunpfahl. Daher diese Idealisten, Staatskünstler, Menschheitsverbesserer! Was war es, das sie den Größen abstehlen sollten? – Die richtige Erkenntniß ihrer Sphäre, die sie füllen, der Kräfte über die sie gebieten können. Der achtzehnte Brümaire, wäre ein Verbrechen, nein eine Dummheit gewesen, wenn der Lieutenant von Toulon ihn gewagt, für den Sieger an den Pyramiden ward es eine Tugend, die Europa und die Welt bewunderte; er wusste was er konnte.«
    »Und was können wir, die wir nicht wissen, was wir wollen, können?«
    »Kein Mensch ist so gering, daß er nicht etwas will, was scheinbar über die Verhältnisse, über seine unentwickelten Kräfte hinausgeht. Aber wenn er den Muth hat, es sich zu gestehen, so wachsen schon dadurch unvermerkt diese Kräfte. Liegt das Ziel im Kreise des Möglichen, wohlverstanden für ihn, so ist es auch für ihn erreichbar. – Ich bin entfernt davon, in Ihre geheimen Wünsche dringen zu wollen: aber denken Sie sich, meine Freundin, einen solchen Wunsch, den Sie bisher für unerreichbar hielten, verkörpern Sie ihn sich, und überrechnen Sie dann die Mittel, die Ihr Geist, Ihr Vermögen, Ihre physische Kraft, Ihre Freunde Ihnen bieten. Reichen diese Mittel aus, so sind Sie am Ziel; denn es ist allein Ihre Schuld, wenn Sie es nicht

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