Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Sekundanten an. Zuweilen schien er, in Gedanken versunken, ihn zu übersehen.
»Wie weit rechneten Sie die Grenze?«
»Wenn Ihre Pferde in gestrecktem Galopp auf den Seitenwegen die zweite Station erreichen, sind Sie mit dem Postrelais morgen früh auf sächsischem Grund und Boden. Es ist nur der fatale Sand.«
Der Fragende schien, während er die Antwort hörte, den Gegenstand schon vergessen zu haben: »Wenn die Sonne hinter dem Hochwald sinkt, werden Sie die Positionen ändern müssen, Vicomte.«
»Seien Sie unbesorgt. Die Sonne wird getheilt.«
Der Spaziergänger war nach einer weitern Promenade wieder zurückgekehrt. Die Falten aus seinem Gesicht waren verschwunden, er schien sogar zu lächeln, als er an der schweren goldenen Kette die Uhr aus der Hosentasche zog: »Die Uhren können differiren. Ich vergaß meine nach der Akademie zu stellen.«
»Auch ist der Rittmeister ein pünktlicher Mann,« sagte der Vicomte. »Nur empfahl er Vorsicht. ›Lieber Verspätung, als was Verdacht erregen kann‹.«
»Ich hoffe doch nicht,« sagte Wandel, und sein Auge blitzte, »daß unsrer Seits etwas versehen ist! Die Polizei hat Luchsaugen.«
»Verlassen Sie sich auf mich und den Rittmeister. Ihm ist's ein Vergnügen und mir auch.«
»Sie sollten sich in Ihrer Vergnügungslust etwas moderiren, Vicomte,« sprach leiser der Legationsrath mit einem halb vertraulichen, halb strafenden Tone. »Man hat hier andre Ansichten als in Paris.«
»Pah!«
»Und Sie würden nicht immer Jemand finden, der Sie aus solchen delicaten Verwicklungen herausreißt.«
»Thut es Ihnen etwa leid?«
»Mir thut nie etwas leid, was ich gethan.«
»Dann soll es mir auch nicht leid thun, daß ich Ihnen aus Dankbarkeit sekundire.«
»Bereuten Sie es schon?«
»Halb und halb. – Nur aus Zärtlichkeit für meinen Chef.«
»Laforest hat viel Aufmerksamkeit für mich.«
»Weil er Sie fürchtet.«
»Fürchtet er mich wirklich?«
»Er fürchtet, was er nicht kennt.«
»Aber den Vicomte Marvilliers de la Motte Calvy fürchtet er doch nicht?«
»Was er nicht hat, macht ihn verdrießlich, was er nie erwerben kann, bissig.«
Herr von Wandel zog wieder die Uhr: »Ich kann mir das Unbehagen eines so ausgezeichneten Diplomaten, wie Herr von Laforest denken, wenn man ihm junge Männer attachirt, die er für Kundschafter seiner Rivalen hält, vielleicht selbst schon für künftige Rivalen, denn in der Diplomatie tritt der alte Adel unbedingt wieder in seine vorigen Rechte. Da würde es mir doppelt leid thun, Vicomte, wenn Ihre Gefälligkeit gegen mich sein Mißtrauen aufs Neue anregte. Doch lässt er sie wohl ohnedies seine wichtigern Depeschen nicht chiffriren.«
Der junge Mann sah auf: »Meine Finger sind noch stumpf von dem Figurenmachen.«
»Die Antwort, die Hardenberg an Duroc ertheilte, kann ihm unmöglich schon bekannt sein.«
»Ich will sie Ihnen auswendig sagen: Preußen werde unwandelbar bei seinen bisherigen Grundsätzen verharren und treu seinem Programm, die Ruhe des nördlichen Deutschlands wahrzunehmen und zu schützen wissen. Duroc zieht mit einer langen Nase ab, wenn er Ihren König zu überreden meinte, daß er mit seinen Truppen wieder in Hannover einrücke, um es für uns gegen die Alliirten in Schutz zu nehmen.«
»Es ist nicht mein König,« sagte Wandel kurz.
»Und daß Preußen,« fuhr der Attaché fort, »rüstet.«
Wenn auf Wandels Gesicht einige Verwunderung sich ausgesprochen, ging sie in einen sarkastischen Zug über: »Preußen rüstet gegen Frankreich! Ei, ei, Herr Vicomte, Sie geben uns überraschende Aufschlüsse!«
»Nur für sich. Achtzig Tausend Mann zur bewaffneten Neutralität.«
»Man weiß doch,« entgegnete Wandel, »daß General Buxhövden hier ist, um für die russische Armee einen Durchzug durch Schlesien zu fordern.«
»Ja, in diesem Augenblick kann er wohl noch hier sein,« sagte schlau der Attaché.
»Und –«
»Und er hat gewiß, wie wir Alle, geglaubt, die Regierung wäre so schwach, oder franzosenfeindlich, oder dämlich, daß es nur eines Anstoßes bedürfe, um sie zu zwingen, sich öffentlich gegen Napoleon zu erklären. Er hat auch angestoßen –«
»Und es hat eine Dröhnung gegeben.«
»Man will nicht dämlich sein, nicht absolut franzosenfeindlich, und eingestandenermaßen schwach und keine offizielle Gliederpuppe, man empfindet die Kränkung, und übermorgen bricht die Armee nach der Weichsel auf, um den Russen die Zähne zu weisen.«
Der Legationsrath hatte hier offenbar
Weitere Kostenlose Bücher