Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Spekulation werden, sonst bricht seine Spitze.
Conclusum est
–«
»Sie sollen sich noch eine Weile quälen,« sagte der Kammerherr.
»Hatte ich es beinah vergessen! 'S ist mein gutes Herz. Ich kann nun einmal Unglückliche nicht leiden sehen. Alle Menschen sind ja Brüder –«
»Und alle Frauen Schwestern!« sagte Wandel aufstehend. »Aber ich muß Contreordre geben, wenn's nicht schon zu spät ist.« Er zog die Uhr, und stampfte auf. »Wahrhaftig, es ist schon zu spät.«
»Was ist's?«
Sie standen nicht mehr ganz fest, als sie jetzt aufstanden. Der Legationsrath strich über die Stirn.
»Unser Joseph geht heut an Madame Potiphars Haus vorüber. Ein leises Schluchzen sollte seine Schritte fesseln –«
»Ei, Herr von Wandel, mir ins Gehege!« rief der Kammerherr. »Der Joseph war zu meiner Disposition.«
»Verzeihung! Ich wollte Sie überraschen; es war gut gemeint. Eine schluchzende Gestalt am Balsaminenfenster sollte ein Bouquet auf seine Brust fallen lassen; – eine rasche Entwicklung stand dann in Aussicht. Wer konnte den heutigen Beschluß ahnen! Um zehn Uhr war's bestellt, und es ist ein Viertel auf eilf. Vielleicht kann ich noch retten.«
Bovillard fiel ihm in den Arm: »Bleiben Sie, lasst sie glücklich sein, wir sind's ja auch. Glückliche Menschen machen, was giebt es Schöneres unterm Sternenzelt. Fand einmal meine Selige in Thränen über Lafontaines neuestem Roman: Kriegen Sie sich nicht? frage ich. – Er ist erst am Ende des ersten Bandes, sagte sie. – Er muß! sage ich. – Wie kannst Du's? – Da klopft es. Wer tritt ein? Herr Lafontaine. Ich riß meine Selige auf, ich zeigte ihm ihre rothen Augen: Barbar, das ist Ihr Werk; können Sie's ruhig ansehen? Eine Thräne der Rührung, eine Thräne der Versöhnung. – Er küsste ihre Hand. – Sie sollen sich kriegen, Madame! – Auf der Stelle ließ ich ihn zu Herrn Sander fahren, dem Buchhändler. Zwei Bogen wurden makulirt, und nach acht Tagen kriegte sie die ersten des zweiten Theils. Schon im ersten Kapitel hatten sie sich gekriegt. – Den Jammer sparte er nachher für dir Ehe – zwei Bände voll!«
»Das nenne ich einen exemplarischen Ehemann!« sagte Wandel.
»Und Herr Lafontaine kriegte die Präbende!« bemerkte St. Real.
»Eine gute That belohnt die andre.«
Schon als Bovillard den Dichter Lafontaine klopfen ließ, hatte man ein starkes Pochen an der Hausthür gehört, darauf einen Lärm von mehren Stimmen; die des Kammerdieners war deutlich zu erkennen, welche Eindringenden den Zutritt verwehren wollte. Eine andre Stimme tönte aber scharf hindurch, welche den Lagationsrath zu frappiren schien, auch der Kammerherr horchte aufmerksam. Nur der Geheimrath hörte in seiner Aufregung erst darauf, als feste Männertritte die kleine Hintertreppe heraufstürmten. »Sie dürfen nicht, ich darf Niemand reinlassen,« schrie der Kammerdiener, der um die Wette mit dem Stürmenden zu laufen schien. »Aber mich!« rief es. Darauf ein Fall, der Diener musste zurückgestoßen sein, und die Thür sprang auf.
»Was bedeutet das!« rief der Geheimrath, einen Leuchter ergreifend, und wollte ins Kabinet.
»Das Vaterland!« rief die Stimme im selben aufgeregten Tone, als der Geheimrath schon, wie von einer Erscheinung erschreckt, zurückprallte. Der Leuchter entfiel ihm.
Der Legationsrath hatte hastig den Hut gefasst, als er den Eintretenden erblickte, der Kammerherr folgte ihm eben so schnell. Der Geheimrath Bovillard blieb mit der Erscheinung allein im Zimmer.
Siebenunddreißigstes Kapitel.
Vater und Sohn.
Louis Bovillard war entlassen. Er war ein stiller Gefangener gewesen; die Beamten waren erstaunt gewesen, er hatte diesmal keinen Streit angefangen, keine Scheibe zerschlagen, keinen Wärter zur Thür hinausgeworfen. Er hatte, in sich versunken, da gesessen, bis die Stunde der Befreiung schlug. Nichts von der Außenwelt war zu ihm gedrungen: da war es doch natürlich, daß er sich jetzt orientiren wollte in der ihm fremd gewordenen. Wohl hatte es durch die dicken Mauern geklungen von außerordenlichen Dingen, von einer Stimmung, die nie da gewesen, von einem heißen Fieber, das die Glieder schüttle, von einem Geist im Volke, der den langen Winterschlaf von den Lidern streife. Im Gefängniß träumt man lebendiger von der Freiheit. Er aber hatte auf seinem Holzbett stumm gelächelt; seine Träume waren anderwärts.
Und jetzt lächelte er wieder, wenn er durch die bewegten und stillen Straßen ging. Sie waren so breit, so todt und
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