Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
so geräuschvoll, wie immer: die Mühlen klapperten, die Menschen schwatzten wie immer. »Was suchen Sie, Bovillard?« fragte ein Bekannter, der ihm nicht ausweichen können. – »Die Stimmung,« war seine Antwort. Der Kalkulator stutzte, aber er erinnerte sich, daß Bovillard Klavier spielte. »Sie suchen einen Stimmer? Ihr Klavier« – »Ist total verstimmt,« antwortete der junge Mann und wandte ihm den Rücken.
Ein Plakat an der Ecke! Vielleicht ein Aufruf des Königs an sein Volk? – Nein, verlorne Sachen, drei Auktionen! Doch, auf der andern Seite eine obrigkeitliche Bekanntmachung: eine Warnung vor falschen Zweigroschenstücken, die sich in Ostfriesland bedenklicherweise gezeigt, und eine Einschärfung von Gouvernement und Polizei, wie die unter den vorigen Königen erlassene Verordnung noch jetzt in voller Kraft sei: daß die sogenannten Zelte und Gebäude im Thiergarten nach wie vor nicht massiv, vielmehr nur von Brettern gebaut werden dürften. – Auf dem Papier stand das Gesetz, im Thiergarten baute man, wie man Lust hatte.
Er trat an eines der noch seltenen und sehr bescheidenen Schaufenster, wo Kupferstiche aushingen. Vielleicht die großen Generale des letzten Krieges. Würden endlich Erzherzog Karl und die Andern die Bilder der französischen Generale verdrängt haben? – Gar keine Generale! Nur König und Königin, wie sich's gebührt; Schauspieler und Schauspielerinnen, der Jubelgreis Erman, der Astronom Bode mit einem Sternenkranz um die Schläfe. Er hatte ja einen neuen Kometen am großen Bären entdeckt.
Willenlos führten ihn seine Schritte in einen Buchladen. Er fragte nach Novitäten für die Zeitgeschichte. »Warum sind des Kanzleidirektors Kistmacher in Breslau Gedichte merkwürdig?« – »Haben Sie nicht in der Vossischen gelesen? Er zeigt seinen Freunden an, daß er mit Gott und seinem König heut gesund und munter in sein neunundfünfzigstes Dienstjahr tritt. Das hat denn gleich Nachfrage nach den Gedichten gemacht.« – Der Buchhändler hatte noch einen interessanten Beitrag für »unsere Zeitgeschichte!« »Zuverlässige Nachrichten von der Sack'schen Familienstiftung zu Glogau, zum Unterricht für Stiftsberechtigte.« Sie hatten eben die Presse verlassen. »Die Lektüre soll mich heut Nacht erquicken!« sagte Bovillard und steckte das Heft in die Tasche.
Er maß die Schritte von der Quadriga bis zu Prinz Heinrichs Palais; sieben Mal hatte er die Länge der Linden gemessen und nichts gesehen, als welke Blätter. Die Gesichter, denen er begegnete, die Blätter, die der Staubwind um seine Füße kräuselte, verschmolzen sich. Seine Phantasie schweifte in eine Wüste; er grübelte, warum die Natur ihnen die Quellen versagt, warum keine Erdbeben die Sahara erschüttern; Vulkane erheben sich doch aus dem Meere.
Er saß in einer Weinstube. Er hörte viele Stimmen. Viele Stimmen machen eine Stimmung. Männer der Wissenschaft zu seiner Linken, Männer der Praxis zur Rechten, Männer der Kunst kamen, als das Theater aus war. Man sprach links und rechts vom Fortschritt. Wie viel öffentliche Vorlesungen befriedigten nicht die Wissbegier! Klaproth über Chemie für Jedermann, Fischer über Experimentalphysik und der gelehrte Bendavid las gar über Geschmackslehre! Aber dann brauste der Streit von der Rechten zur Linken, und im Centrum über das Stück des Tages: »Die Organe des Gehirns.« Wer war größer, Kotzebue oder Iffland? Kotzebue, der mit beißender Kritik, mit übersprudelnder Laune, die neue Chimäre der Wissenschaft geißelte, der Gall auf immer vernichtet hatte, oder der unvergleichliche Mime, der heute den Lear und morgen den Kannegießer mit gleicher Virtuosität spielte? Iffland drückte Kotzebue zu Boden. Alle Lippen bebten vom Lobe des Mimen; man anatomisirte den kleinen Finger seiner linken Hand, mit dem er ein widerstrebendes Gefühl ausgedrückt, man zerschnitt seine karrirte Weste, welche die Zersetzung eines sublimen Gedankens in eben so viele Theile darlegte. »Und Fleck ist doch größer!« trumpfte ein stabiler Gast auf den Tisch. – »Warum, Renommist?« »Er schafft, Iffland copirt.« – Kunst und Natur, ein ewiger Streit, man überschrie sich; die Gläser klirrten, die Köpfe wurden heiß. »Und alle Eure Kunst ist doch nur Chemie,« schrie der Renommist. »Die Pest auf Dichter, die nur die Schädellehre zersetzen, aber keinen Schädel lebendig machen.«
Er setzte sich von den Genialen zu den Philistern; doch es waren Philister des Fortschritts. Die
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