Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Tausend Mann wenigstens wälzt er in Sturmmärschen durch – die Baiern hausen wie in Feindes Land –«
»Krieg!« jauchzte der Rittmeister.
»Und die preußischen Truppen?«
»Was dastand machte Platz oder nicht, wie es kam. – Sie wissen nicht, vor Ordre und Contreordre, was zu thun –«
Sie waren am Hotel angelangt, und rissen an der Schelle. Der Courier lehnte sich erschöpft am Pfeiler;
»Er wird doch fester halten als der,« sagte er. »Meine Herren, wer das mit ansehen musste! – Sie spuckten auf unsre Grenzpfähle; ich sah einen umgerissen – aus purem Uebermuth –«
»Wer?« rief der Rittmeister.
»Franzosen oder Baiern, gleichviel. Der preußische Adler im Koth, die Tapfen ihrer schmutzigen Füße auf Friedrichs zerbrochenem Adler. Meine Herren, es war ein Stoß ins Herz für einen preußischen Militär.«
»Das muß der Langmuth den Hals brechen!« jauchzte Bovillard und stürmte an der Hausglocke. Der Portier hatte endlich den Schieber des Seitenfensterchens geöffnet.
»Ein Courier! Depeschen!« riefen drei Stimmen zugleich.
»Excellenz haben sich bereits zur Ruhe verfügt.«
»Der Sekretär! Aus dem Bureau, wer es sei.«
»Alles schläft schon.«
»In Teufels Namen so weckt sie!« schrie der Rittmeister.
»Ich muß Excellenz persönlich sprechen, der Courier! Ein Courier aus dem Anspach'schen, Depeschen von äußerster Wichtigkeit.«
»Nach zehn Uhr wird nichts angenommen. Morgen früh um acht Uhr. Wenn's sehr wichtig ist, können Sie schon um sieben klingeln.«
Der Laden klappte, das Schiebefenster ging zu.
»Was ist da zu thun?«
»Zum Gouverneur!«
»Er wird noch von der Schnepfenjagd nicht zurück sein,« entsann sich Dohleneck. – Es waren wohl Adjutanten und Offiziere da, aber sie waren für außerordentliche Fälle nicht instruirt. Es müsste doch wahrscheinlich ein Ministerkonseil berufen werden. Also rieth man einen andern Minister aufzusuchen, es werde doch einer wachen.
Es wachte aber zufällig keiner. Hier wurden sie angeschrieen, dort höflich zur Ruhe vermahnt. Sie sollten wissen, daß Excellenz jeden Sonnabend zu transpiriren einnehmen. Dann werde Niemand, wer es auch sei, vorgelassen
»Er spielt L'hombre! Man darf ihn nicht stören!« rief Bovillard und unterschlug die Arme. Sie waren vom letzten Hotel abgewiesen.
»Was sehn Sie da, Bovillard?«
»Nach dem neuen Kometen, den Herr Bode am großen Bären entdeckt hat. Der Mann hat sich doch ein großes Verdienst um den preußischen Staat erworben.«
»Wenn Kometen auf Krieg deuten!« sagte Dohleneck. »Wohin? Wohin?«
Bovillard stürzte ihnen vorauf.
»Ich sehe Licht, Funken schlagen. Es gilt einen Sturm.«
* * *
Die Erscheinung, welche durch die Hintertreppe ins Arbeitszimmer des Geheimraths gedrungen, war sein Sohn. Es waren Jahre vergangen, seit Louis Bovillard seinen Fuß in diese Räume gesetzt.
Die auf des Vaters Seite waren entflohen, die auf des Sohnes unten geblieben, oder sie hatten ihm die Sache übergeben und waren auch fortgegangen. Der Vater und der Sohn waren allein.
Der Vater hatte sich wieder gewonnen. Wenn der erste Anblick ihn erschreckt, wenn er hinter den Tisch getreten, auf dem die Flaschen rollten, wenn er an der Glocke ziehen wollen, so war der wüste Traumeindruck so schnell vergangen, als er aufschoß. Dieser Sohn kam nicht mit der Pistole in der Brust; er floh nicht vor seinen Verfolgern, er war nicht eingedrungen, um des Vaters Beutel oder Schutz; aber wie wild auch das Auge rollte, wie starr und wüst das Haar um seine Stirn spielte, wie vernachlässigt sein Anzug, Louis kam auch nicht als verlorner Sohn, der die Träber gegessen, und zerknirscht vor des Vaters Füßen den Boden küssen will. Er blieb aufrecht an der Thür stehen: Ein verlorner Sohn hält auch kein Portefeuille in Händen.
»Mein Vater! Vergessen Sie auf einen Augenblick Ihren Sohn, dem Sie diese Schwelle verboten. Sehn Sie nur den Sohn des Vaterlandes. Es gilt dessen Ehre, vielleicht sein Dasein.«
Er hatte in kurzen abgestoßenen Sätzen erzählt, – was wir bereits wissen.
»Und was geht es Dich an?«
Louis trat um einen Schritt näher: »Das ist nicht Ihr Ernst, es kann nicht Ihr Ernst sein. Auch Ihr Auge blitzte auf, ich sah es. Vergessen Sie, daß Ihr Sohn Zeuge ist dieser Bewegung, die Ihnen keine Schande bringt. Herr Gott – Sie müssen –«
Der Geheimrath war in Bewegung; es gelang ihm nicht ganz, sie zu verbergen.
»Der Du nicht mein Sohn sein willst, Du weißt doch, daß ich
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