Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Warum lässt man sie darin? Warum ist denn noch Niemand in dies Haus gezogen, nachdem er es verlassen? 's ist ja so luftig und hübsch. So meinen Sie doch wohl, daß drinnen noch etwas ist, davor sie Respekt haben, und gehen ihm fein aus dem Wege.«
»Vielleicht die Furcht vor dem Gespenst mit dem Krückenstock,« warf Walter hin.
»Kann wohl sein,« nickte der Major und wies nach Potsdam hinunter. »Warum kämen sie sonst aus Petersburg und Paris her, und legten ihr Ohr an die Thüren? Selbst der mächtige Kaiser! Warum ständen die gesattelten Courierpferde in den Ställen, um das Ja oder Nein nach Wien und London zu tragen? Um uns doch nicht! Sein Geist ist's allein, mein junger Herr Gelehrter, der noch da sitzt; auf den horchen sie, vor dem schüttelt es sie, die Großen und Mächtigen, daß er plötzlich aufstehen könnte, und sich schütteln im Zorn. Herr, was wir sind und haben ist sein Werk, unser Name, unsere Straßen, unsere Häfen, unsere Ordnung, unser Respekt. Sein Auge leuchtete als Stern den Unterdrückten. Sein Wort, das er donnerte, als der Müller Arnold klagte, dröhnte durch Europa und es wird durch die Welt hallen, so lange sie steht. Sein Wort, daß Jeder in seinem Staate selig werden solle, wie er will, Gott Vater im Himmel, kann denn das je vergessen werden! Walte der !« setzte er nach einer Weile hinzu, indem er den Hut von der Stirn nahm, es war wohl um zu verbergen, daß er die Hände im Schooß faltete. »Walte der da oben, daß jetzt sein Geist da unten mitspricht!«
»Amen!« rief bewegt der jüngere Mann.
Der Offizier bemerkte es, wie er heftig dabei die Arme verschränkte, und finster in sich schaute. Er warf ihm einen ersten freundlichen Blick zu:
»Sein Werk ist doch wohl noch nicht untergegangen, denn sein Volk lebt noch!«
»Und er zögerte nicht Ja zu sagen,« fiel Walter ein, »wenn eine halbe Welt ihn zu beschwören kommt.«
»Nein,« sagte der Alte jetzt aufstehend, »aber der große König hätte sich nicht beschwören lassen, er wäre der halben Welt zuvorgekommen, und hätte den Degen gezogen, und sie beschworen, daß sie ihm folgen musste. Das ist's, da liegt der Unterschied. Wo wir drauf losgingen, siegten wir; wo wir's an uns kommen ließen, zogen wir den Kürzern.«
Sie wurden hier unterbrochen. Eine Gestalt am andern Ende der Terrasse war schon eine Weile sichtbar oder hörbar, nur sahen und hörten die Beiden im Eifer ihres Gesprächs sie nicht, und der ältliche, sehr wohlbeleibte Mann, der ihnen mit einem weißen Tuche ängstlich winkte, vermochte wegen seiner Körperschwere nicht so schnell heranzukommen. Jetzt aber war er da, und wer er war und was er wollte, erlitt keinen Zweifel.
Vierundvierzigstes Kapitel.
Zwei subalterne Personen drohen den Gang der Geschichte zu ändern.
»Kurz, es ist nicht erlaubt, hier auf den Steinen zu sitzen.«
So schloß der wohlbeleibte Mann mit wichtiger Miene eine Strafrede, die seinen Athem erschöpft und sein Gesicht gefärbt hatte. Trotzdem schien sie auf die Beiden keinen Eindruck gemacht zu haben, denn sie sahen sich lächelnd an, als der Beamte mit dem weißen feinen Taschentuch den Staub, oder ihre Berührung von den Steinen klopfte.
Ein Beamter war er, dafür sprach jeder Zoll an dem Mann: nur welche Charge er bekleidete, ist uns nicht aufbewahrt. Ein Beamter, nicht in Uniform, aber in Galastaat; einem feinen Rock, der gewiß einst geschmackvoll um den Leib schloß, nur hatte der Körper dem Fortschritt gehuldigt, während das Tuch konservativ geblieben war. Weiß waren die seidenen Strümpfe, weiß die Weste, und das Jabot stritt mit dem Zopf und der Frisur um die Wette, was glänzender sei; farbig war nur der Rock, roth nur das Gesicht. Sein Blick, als er sich umwandte, schien zu sprechen: »Und Sie sind doch noch hier?«
Walter stand im Schatten, auf das Gesicht des alten Majors glühte der rothe Abendstrahl. Es lag wieder Friede darüber ausgebreitet, als er lächelnd sprach:
»Vor zwanzig Jahren, als ich auf die Terrasse kam, führte mich der Wachthabende selbst zum großen König Ich sah ihn sterben. Nun weist man einen alten Soldaten fort, weil er kam, nur um seinen Geist zu sehen. – Freilich, es kann gefährlich werden, Friedrichs Geist zu sehen.«
Leicht den Hut gegen den jungen Mann lüftend, hatte sich der Invalide umgewandt und war die Treppe hinabgestiegen.
»Aber was fällt Ihnen denn ein, Herr Pathe Nähtebusch,« sagte Walter plötzlich. »Einem alten Soldaten seinen Ruheplatz nicht
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