Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
so sehr.«
»Und da ist es ein süßes Gefühl, als Schutzengel über die Unschuld zu wachen! Man mag sich für gewisse Leute interessant machen, wenn man immer die Leidende spielt, es giebt Andere, die durch die Maske sehen.« Adelheid ward roth und senkte ihr Auge nieder, das entrüstet aufgeblickt. Von der Rede kamen nur die Worte heraus: »Meine Mutter –«
»Das Wort wird Dir wohl täglich schwerer? Aber so lange Du Dich bewogen findest, in diesem Verhältniß zu bleiben, ist es doch gut, daß Du Dich vor den Andern bezwingst, Liebe gegen mich zu zeigen.«
»Meine Mutter, Sie martern mich.«
»Das ist unser Aller Loos. Wir Alle werden gemartert von den Verhältnissen, vom Urtheil der Menschen, bis wir gleichgültig werden, sagen die Leute. Das ist nicht wahr, man wird nicht gleichgültig, wenn man sich nicht schon aufgegeben hat. Nur wer so weit ist, daß er alle Hoffnung fahren ließ, nimmt die Tritte und spitzen Stiche ruhig hin. Wer sich noch fühlt, ruht nicht, bis er Andere wieder martern kann. Sieh mich immerhin verwundert an; es ist so, es ist das Gesetz der Welt.«
»Das Gesetz der Rache.«
»Nenne es, wie Du willst. Es giebt nur zwei Gattungen Wesen. Unterdrücker und Unterdrückte. Wo Du hinsiehst, so ist es. Das ist eine Phantasie aus der Vorzeit, daß es freie Menschen gäbe; sie sind von unserer Kultur so ausgerottet wie die wilden Thiergeschlechter. Denn die noch da sind, sind doch schon unterworfene Geschöpfe, Der Mensch hegt und erhält sie, um sie zu fangen, schießen, je wie es ihm beliebt. Der Hirsch, der Hase ist so sein Eigenthum daß er schon unverbrüchliche Gesetze für ihn gegeben hat wie lange man ihn schonen, wann der Vertilgungskrieg losgehen soll. Nach eben solchen Gesetzen schont ein kluger Herr die von ihm abhängig, nicht aus Liebe, nur um seines Vortheils willen. Er spart ihre Kräfte auf, um sie am besten zu nutzen. Der Wurm und der Hirsch lehnen sich vergeblich gegen ihre Ueberwinder auf; unter den Menschen glückt es zuweilen dem Einen und dem Andern, durch List, Ausdauer, frei und Herr zu werden über seine Unterdrücker, und dieser Prozeß ist unsere Geschichte. Aber wenn sie es sind, dann machen die Sieger es nicht besser und anders; sie unterdrücken, quälen und martern wieder, wie sie gemartert wurden. Das ist auch Geschichte, mein Kind. Findest Du es so unnatürlich, daß man lieber sticht, als gestochen wird?«
»Ich freue mich, daß ein harmloses Mädchen nicht in Verlegenheit kommt, wählen zu müssen.«
Die Lupinus lächelte: »Warum unser Verhältniß durch Unwahrheit erschweren, mein Kind. Zwischen uns muß Wahrheit sein. Ich ertrage sie, Du kannst es auch. Du wirst noch mehr ertragen müssen.«
»Mein Gott, was ist denn zwischen uns Wahrheit?« rief Adelheid und erschrak, als es über ihre Lippen war.
»Du sprichst es eben aus. Wir sind zusammengewürfelt und passen nicht zu einander. Wir gefallen uns nicht, und müssen doch vor den Menschen die Miene annehmen, als wenn wir uns liebten. Auf Deinen Lippen zittert die trotzige Bemerkung, ich könnte Dich ja verstoßen, Dir die Thür weisen. Nein, Adelheid, das kann ich nicht, das darf ich nicht. Die Welt, die mich gestern noch liebkoste, hat sich über Nacht von mir gewandt. Daß ich Dich damals gerettet ist längst vergessen, so wie Du es vergessen hast. Still, still, ich zürne Dir darum nicht, ich finde es ganz natürlich. Sie sinnen mir an, daß ich Dich nur aufgenommen, um mit dem schönen Mädchen Staat zu machen, Du solltest der Lockvogel sein für eine Gesellschaft, die sonst nicht über die Schwelle der Lupinus gekommen wäre! Nun sei es anders. Man hat sich satt gesehen, man gafft andere Sterne an. Man vernachlässigt mich, spottet meiner hinter meinem Rücken. Wer so einsam dasteht, wie ich, von dem wenden sich auch die treuesten Freunde. Merke Dir das, es giebt keine Treue, als wer sich selbst treu ist, und das ist schwer. Die Schule ist lang und hart, ich habe sie durchgemacht. Ich kenne die Welt; einer nach dem andern ihrer bunten, flimmernden Lappenvorhänge fiel nieder, auch einer, der fest schien wie das diamantene Firmament – aber das Firmament ist ja auch eine Illusion! Wenn ich Dir jetzt den Stuhl vor die Thüre setzte, hieße es, das sei aus Verdruß, weil Du meine Erwartungen nicht erfüllt, ich wäre Deiner satt. Daß man mich dann tadelte, hasste, ertrüge ich – ich hasse sie ja auch; aber man würde mich auslachen, und – ausgelacht mag ich nicht sein.«
Die Thränen, die
Weitere Kostenlose Bücher