Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Wort, sondern durch einen Blick ab. Aber der Blick war schärfer als das Wort.
Sie hatte sich auf das Kanapé gelehnt, aber sie saß nicht allein. Einst hatte sie aufgeschrieen, als sie kleine Schlangen sah, die über das Sopha ihres Arztes züngelten und um seinen Arm sich ringelnd ihm an den Hals glitten.
»Fürchten Sie sich nicht, Frau Geheimräthin,« hatte Heim gerufen, ohne Anstalt zu machen, der fast Ohnmächtigen beizuspringen. »Die Schlangen thun Niemand was. Es hat aber andre, die zischen und sind giftig, und Niemand sieht sie!«
Diese Schlangen schienen jetzt neben ihr auf den Kissen zu spielen, um ihren Hals sich zu schlingen und durch ihre immer engere Umklammerung die scheu schielenden Blicke ihrer Augen zu erpressen. Fuhren sie auch zuweilen mit einem nagenden Stich in ihr Herz, so kann man wohl daher das plötzliche Aufzucken, das krampfhafte Athmen, das sie sich selbst zu verbergen suchte, indem sie ihre Hand unwillkürlich an ihre Brust führte.
»Er hat Recht,« sagte sie, mit Anstrengung sich wieder vom Sopha erhebend, während sie sich doch noch an die Lehne hielt. Aber dann zwang sie sich mit aller Muskelkraft, die dem starken Willen zu Gebote steht, aufrecht zu stehen. »Er hat Recht,« wiederholte sie. »Das Leben ist und bleibt ein Krieg Aller gegen Alle, und nur Der steht fest, der sich zuletzt auf Niemand verlässt, als auf sich – Niemand « – setzte sie mit Nachdruck hinzu. »Denn der beste Bundesgenosse wird der gefährlichste Feind, wenn die Bande zerrissen sind, die ihn an uns fesselten. Und was sind denn diese Bande, wenn wir sie näher betrachten? Der Leim, der die spröden Fäden schmeidigt und bindet, ist das Interesse, weiter nichts! Die süßeste Liebe, der eifrigste Wissensdrang, wenn wir sie zersetzen, es bleibt nur das Gelüste, das allerfeinste, nach Genuß und Vortheil. Die Vaterlandsliebe, was ist sie, auf ihre Grundstoffe zerlegt? Ein grober Egoismus! Und dieser Patriotismus, den wir uns vorlügen, Jeder sich selbst, in noch stärkerer Dosis dem Andern, und der giebt ihn uns wieder zurück, aufgeschwollen, bis das grauenhafte Phantom fertig ist, das Wolkenbild, das unsre Sinne verwirrt, unsre Vernunft uns raubt. Und was bleibt dann? –«
In der Kinderstube war es laut geworden, keine ungewöhnliche Erscheinung. Die Kinder verübten, wenn sie kaum sich etwas erholt, allerhand Schabernack. Sie neckten, zankten, schlugen sich, und es war mehr als einmal passirt, daß sie in unbewachten Augenblicken wieder einen frischen Trunk aus dem Quell des Uebels gethan, von dem sie geheilt werden sollten. Charlotte kam aus der Stube, die Enveloppe umgethan zum Fortgehen. Sie weinte.
»Haben die Kinder Sie wieder nicht in Ruhe gelassen?«
»Ach, Frau Geheimräthin, wenn da der liebe Gott nicht hilft, dann weiß ich nicht, wer helfen soll.«
»Warum hilft Sie sich nicht selbst?«
»Ich knuffe sie auch, Frau Geheimräthin, aber Wechselbälger sind gar nicht so schlimm. Nein, seit sie doch in dem Hause sind! Ein vernünftiger Mensch soll doch auch nicht in Rage kommen, denn wer in Rage ist, hat keine Vernunft, ja sonst – ich frage mich immer, womit hat's die liebe gute Frau Geheimräthin verdient, nämlich die selige, die hatte ja ein Herz wie Zucker, das konnte keine Fliege leiden sehen, und der Fritz, wenn er den Maikäfern die Flügel ausreißt, das ist sein größtes Plaisir. Malwinchen ist stiller, aber die hat's dick hinter den Ohren. Glauben Sie mir's, Frau Geheimräthin, die war's, die hat die Medizinpulle in die Mehlspeise gegossen. O Gott, ich kenne sie ja; der Fritz, ja mit reingepolkt hat er in die Speise, aber Fritz ist viel zu wild; der hätte nicht nachher die Pelle, mit Respekt zu sagen, so wieder rüber gepellt, daß man's nicht merken that. Und daß so was in einem so reputirlichen Hause vorkommen musste! Mein Cousine, die Frau Hoflackir, als sie's hörte, schlug die Hände über den Kopf zusammen, und sagte: Charlotte, Du mein Jemine! die Leute hätten ja denken können, sie wären vergiftet und vergeben worden.«
»Das ist ein albernes Gerede.«
»Das sagte ich ja auch. Erstens, das waren vornehme Gäste und die nennt man nicht Leute , Cousine. Nun Sie müssen wissen, meine Cousine ist jetzt eine sehr respektable Frau, aber sie hat nicht die Bildung gehabt. Da muß man ihr schon etwas zu Gute halten. Aber dann sagte ich ihr: Aber, Cousine, wie kannst Du so was nur denken! Gemeine Leute sind rachsüchtig, und da hat schon Mancher seiner Frau auf den Kopf
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