Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
steckt es!«
»Wer's zu verantworten hat, weiß ich auch, Frau Geheimräthin. Nein, da sind Sie nicht dran schuld. Im Blute, sagt der Herr Prediger, steckt die Sünde, der Frühprediger meine ich, wo die russische Fürstin allemal hinkutschirt. Ach, Frau Geheimräthin, haben Sie den mal gehört? Das ist gar kein Prediger wie die andern, der donnert von der Kanzel, daß es Einem brühsiedend heiß wird, und 's ist Einem, als ob das liebe Fleisch von den Knochen abginge. Der sagt's uns raus, daß die ganze Menschheit in Grund und Boden nichts taugt und keinen Schuß Pulver nicht werth ist. Und das kommt aber nicht von uns, sondern weil wir uns von der Erbsünde losgesagt haben, darum alles das und noch viel mehr. Herr Jesus, Frau Geheimräthin, wie malt der Mann das alles, man sieht's ordentlich. Man möchte von Keinem mehr ein Stück Brot nehmen, so sind sie versunken und verpestet in Eitelkeit und Habsucht und Wollust und Hoffart. Und das wird auch nicht besser werden, denn die Kinder werden noch immer schlechter als die Eltern, von wegen daß sie's von ihnen lernen, bis der Herr in seinem Zorne wieder eine Sündfluth schickt, oder ein großes Feuer, oder wie er sagt eine Bluttaufe, denn vernichtet müsste das ganze gottlose Geschlecht werden, sagt er, das abgefallen ist vom rechten Glauben an die Erbsünde und darum wären wir schwächlich und diebisch und neidisch und verredeten, und vergeben einen den andern, und wollten besser scheinen, als wie wir sind. Und dann streckt er die Arme aus und ruft zum Herrn der himmlischen Heerschaaren, daß er die Kindlein fortnehmen möge in seinem Erbarmen, und er möchte Thränen weinen, daß sie ein Meer würden, sagt der Herr Prediger, und die unschuldigen Kleinen alle darin versöffen, damit sie nicht lernten die Sünden der Eltern, sondern 'rein kämen in den Himmel, wie neugefallener Schnee. Das war nur ein Schluchzen in der ganzen Kirche und ich dachte, o Gott, wenn doch der Himmel so unser Malwinchen und Fritzchen zu sich nehmen wollte. – Und daß nun einmal alles rein aufgewaschen wird, Ihre chinesische Porzellanvase hat Fritzchen auch zerschlagen. Mamsell Adelheidchen hat sie nur so oben mit der schönen Seite auf den Rand gesetzt, daß Sie's nicht merken sollen, und dann will sie's abpassen, wenn Frau Geheimräthin mal bei guter Laune sind. Ja, wenn die englische Mamsell nicht wäre, dann wäre schon längst ein Malheur passirt.«
Achtundvierzigstes Kapitel.
Präparirtes Gift.
Charlotte war fort. Ihr Geheimrath hatte sie zur Mittagsstunde erwartet, und »wir haben heut sein Lieblingsgericht,« hatte Charlotte sich entschuldigt. Die Geheimräthin stand im Krankenzimmer. Es war ein eigenes Lächeln, mit welchem sie die schlafenden Kinder betrachtete. Nicht das des Wohlgefallens, es war nichts Wohlgefälliges in dem Anblick. Es war eine Wißbegier, die, je länger sie über das Mädchen sich beugte, zu einer wollüstigen Empfindung ward. Der Knabe hatte sie weniger interessirt. Auf seinem Gesichte las sie nur rohen Trotz und sinnliche Tücke. In Malwinens Lineamenten schien sie zu studiren. »Sonderbar!« lispelten ihre Lippen, »welche schalkhafte Ruhe über dem Kindesgesichte! und doch aus allen Grübchen der Schelm vorschießend, der Zerstörungstrieb – in Kindern! So schickt vielleicht die Natur Jeden fertig auf die Welt, es ist alles Prädestination, und wir verfehlen nur unsere Bestimmung, wenn –«
Sie tippte mit dem Finger über Malwinens Stirn, wie um durch das Gefühl sich zu vergewissern, ob das Auge nicht getäuscht. Die Probe musste mit der Rechnung stimmen; ihr Lächeln ward intensiver, als plötzlich doch ein Schatten über ihre Stirn flog. Der Schlaf ist ja ein Verräther! Lag nicht der ganze dunkle Trieb für das Auge des Kundigen auf dem Kindesgesicht ausgedrückt? Wenn das mit den Erwachsenen derselbe Fall wäre? Wenn Jeder sich einschließen müsste, vor nichts mehr besorgt, als daß ein Fremder ihm ins Gesicht sehe? – Erschreckt vor dem Gedanken blickte sie um sich, und – die stille Krankenstube barg den Verräther. Hinter der Fenstergardine saß Adelheid und stickte an der Fahne, mit welcher die Geheimräthin, sie wusste noch nicht wie, das Gouvernement überraschen wollte. »Spielen wir hier die Lauscherin?«
»Was sollte ich belauschen? Ich arbeite an Ihrem Auftrage.«
»Mit verweintem Gesicht? Ich meinte, eine Patriotin wie Du sollte nicht Thränen in die Fahne ihres Königs sticken.«
»Die armen Kinder litten aber wieder
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