Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
gesungen, von dem überlebende Zeitgenossen uns versichern, daß es gewirkt wie ein Tyrtäischer Kriegsgesang. Das Publikum erhob sich. Man streckte die Arme nach der Bühne, um den Text zum Mitsingen zu erhalten, die Schranken des Orchesters fielen. Da aber regnete es schon von gedruckten Blättern aus dem Amphitheater. Das Parterre stimmte ein, Jubel oder Rührung, es war zweifelhaft, was größer war. Die Damen in den Logen wehten mit den Tüchern; ernsten Männern, bei deren gefurchtem Gesicht man einen Eid hätte ablegen mögen, daß sie nie geweint, standen Thränen im Auge.
Die letzte Strophe musste wiederholt werden. »Das ist ein Lied!« – »Das ein Gesang!« – »Ein Dichter!« – Von Mund zu Mund ging sein Name geflüstert hin: »Es sind der Herr Major von Knesebeck!« Dort schrie Einer dem Andern zu: »Donner und Wetter, der Knesebeck ein Dichter! Man wollte, man musste sich näher kommen. Die in jener Zeit nicht so strenge Billetordnung ward gebrochen, man besuchte sich in den Logen, schüttelte sich die Hände; aus den Logen ging man ins Parterre, und unversehens hatten einige Allzeitfertige aus Brettern und Stühlen eine Art Treppe nach der Bühne gebaut. Das Stück war ja zu Ende, nur den Vorhang hatte man herunterzulassen vergessen – oder auch nicht vergessen. Während junge Enthusiasten hinaufsprangen, den Schauspielern die Hände schüttelten, winkten Andere den Darstellern herabzukommen. Bald sah man Iffland in seiner stattlichen Armatur als Wachtmeister im Kreise der Offiziere, seiner Freunde. Er spielte nicht den Wachtmeister, er war es. Er war ein Patriot von Herzen, und von Herzen redete er feierliche Worte von Aufopferung und Treue. Seine jungen Verehrer drängten sich, ihm in die Hand zu schlagen, als Gelöbniß, daß sie leben oder sterben wollten für König und Vaterland.«
In der Erhebung des Augenblicks fand Niemand darin Seltsames, daß der Schauspieler den Ernst des Lebens repräsentirte; aber auch heitere Scenen mischten sich in diesen heroisch theatralischen Ernst. Es hat sich von je an gefügt, seit es Offiziere gab und Juden, daß Beide in gewissen Verhältnissen zu einander stehen, Verhältnisse, die, in der Jugend sehr intim, sich oft erst im Alter lösten, zuweilen auch gar nicht. Da sah man einen bekannten jüdischen Handelsmann, welcher später, vielleicht auch damals schon, den Namen Gans führte und für einen witzigen Mann galt, an den Armen zweier Lieutenants umherstolziren, oder besser er umschlang sie mit seinen Armen, und den Begegnenden versicherte er, in diesen beiden Freunden opferte er seine theuersten Erinnerungen dem Vaterlande! Unzelmann, als Trompeter, streifte am Arm eines hübschen Kavallerie-Offiziers durch das Parterre. Wer dafür noch Sinn hatte, blickte neugierig verwundert nach. Der junge blonde Offizier nahm das spöttische Lächeln seelensvergnügt hin, Unzelmanns komische Miene deutete aber an, daß ihn der Sinn nicht verletze. »Unzelmann und Quast Arm in Arm!« – »Unzelmann spielt heute seine Frau.« Er rief den Spöttern nach: »Beschämte Eifersucht wird nicht mehr gespielt, meine Herren,« – »denn Eifersucht ist das größte Ungeheuer!« replicirte ein junger Schöngeist, der die alten Spanier studirte.
»Und gegen das größte Ungeheuer,« fiel der Schauspieler eben so schnell ein, »ziehen unsere braven Truppen.« Auch »Menschenhaß und Reue,« meine Herren, wird nicht mehr gegeben, »denn wir brauchen allen Menschenhaß gegen die Franzosen.« – »Und,« setzte ein dritter Witzbold hinzu, »ein Lump, wer nicht sein Bestes und sein Schlechtestes mit seinem Alliirten theilt.« – Anspielungen, die damals Jeder verstand, auch viele Jahrzehnte nachher hat sich die Erinnerung erhalten; nicht werth um ihrer selbst willen, aber von Werth zur Charakteristik einer Zeit, die längst von den Springfluthen der Geschichte fortgespült und von ihrem mächtigen Strom auf immer verschüttet scheint. Nicht die Frivolität ist begraben, aber in dem luftigen Kleide von damals darf sie sich der Gesellschaft, in keinem ihrer Kreise, nicht mehr zeigen.
Enthusiasmus, wohin man sah, aber es fehlte noch etwas: ein Schluß, der dem Anfang entsprach, ein Siegel auf die fertige Urkunde gedrückt. Wozu die ganze Aufregung ohne ein Ziel? Aus dem Theater sind später Revolutionen hervorgegangen, aus der »Stummen von Portici« stürzten die berauschten Zuschauer, um die Funken des Bühnenfeuers als Brand auf den Markt zu tragen. Dazu war hier nicht der
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