Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
»Debarrassiren Sie sich von ihr. Es ist am Ende doch das Gescheidteste!« flüsterte Wandel der Geheimräthin zu. Sie blickte ihn fragend an.
»Sie bezweifeln, daß ich als Ihr Freund spreche. Mein Rath sollte Ihnen beweisen, daß ich es bin. Ich sage nicht, daß Sie eine Natter sich am Busen erzogen haben, aber in dem Mädchen ist etwas Dämonisches. Bildete sie sich nach Ihnen? Schlug nur einer Ihrer Rathschläge an? Sie müssen sich gestehen, daß das Mädchen unberührt blieb, gleichviel ob im Guten oder Bösen. Aber Sie sind nicht mehr Herrin Ihrer selbst, seit dieses Gewicht an Ihnen hängt, Ihr kluges Auge, Ihr scharfes Ohr, Ihre Schritte und Tritte, ich möchte sagen, Ihre Gedanken belauscht. Fast erkenne ich meine stolze, sichere Freundin nicht wieder, wenn ich die Rücksichten sehe, die sie auf ein in jeder Beziehung untergeordnetes Wesen nimmt. Aber sie ist nicht, sie kann nicht untergeordnet sein ihrer Natur nach, das ist eben das Dämonische, was ein frei denkendes Wesen nicht neben sich dulden dürfte. Bringe sie nicht Unglück in jedes Haus, in das sie tritt! Dort – hier. Ueberrechnen Sie die Verlegenheiten, in die Ihre Güte gegen Adelheid Sie gestürzt, und ziehen Sie den Schluß, welches von beiden Uebeln größer ist, daß die Welt wieder einmal acht Tage über Sie lästert, oder – daß Sie frei, Sie selbst wieder sind. Wählen Sie das Kleinere, und ergreifen die erste Gelegenheit.«
Die Ouverture schloß mit Anklängen aus dem Dessauer-Marsch.
»Sie richtet sich auf,« sagte Bovillard. »O eine wahre Patriotin.«
Herr Reibedanz rief zur Thür herein: »Machen Sie schnell, meine Herrschaften, der Vorhang geht auf.«
»Sie muß mit,« sprach die Geheimräthin. »Sie hat die Kraft, sich selbst zu genügen.«
»Ich glaube es auch,« sagte die Fürstin. »Herr von Bovillard, unterstützen Sie ihren Arm, sie will aufstehen.«
»Bovillard!« wiederholte Adelheid mit der süßen Stimme einer Träumenden, die aus einem lieblichen Traum erwacht, und erhob sich. »Geliebtes Kind!« sprach die Geheimräthin, ihr entgegen tretend. Aber derselbe Traum musste auch bittere Erscheinungen ihr vorgegaukelt haben, denn als ihr Auge auf die Pflegemutter fiel, welche die Arme gegen sie ausbreitete, stieß sie dieselben mit einer krampfhaften Bewegung zurück. Das träumerische Auge veränderte seinen Ausdruck, ein Entsetzen wie mit Zorn gemischt schien aus der tiefsten Seele aufzusteigen und lieh dem Augapfel einen Glanz, vor dem man erschrak. Wie kam dieser Blick in das Auge einer Jungfrau! Die Fürstin hatte eben so rasch es bemerkt, als sie mit der huldvollsten Freundlichkeit Adelheid unterfasste: »Bovillard, geben Sie ihr den Arm, wir führen unsere Patientin.«
»Sie träumte noch den Dessauer Marsch und sah die Franzosen vor sich.« sagte der Geheimrath.
»So ist sie! Voller Laune und Phantasie!« bemerkte die Lupinus an Wandels Arm.
»Wie unsere Zeit und diese Menschen,« entgegnete er. »Nichts, wohin wir sehen, als Phantasie und kein Entschluß.«
Einundfünfzigstes Kapitel.
Wallensteins Lager.
Kaum ließ sich während der Darstellung das Mitspielen des Publikums zurückhalten. Die Iffland, Unzelmann, Mattausch, Herdt, Bessel, Gern, Labes, Kaselitz erschienen in ihren Waffenröcken und Wehrgehenken nicht wie Schauspieler, welche das Bild einer zweihundertjährigen Vorzeit den Zuschauern hinzaubern wollten, sondern wie Repräsentanten dieser Zuschauer selbst, die, jedem Kunstausdruck, jedem Verse, der auf das Ergreifen der Waffen deutete, zujubelnd, ihre eigene kriegerische Stimmung aushauchten. Das war ein Bravorufen, Klatschen, so kräftig, sonor, wie man es in diesen, der ernsten Kunst geweihten und damals heilig gehaltenen Räumen selten gehört. Der Kunstenthusiasmus erlaubte sich in Berlin wohl Thränen und Entzückungen, auch Verzückungen, aber noch nicht mit dem Feuer zu spielen, das er später verschwenderisch über seine Lieblinge ausschüttete, einen flammenden Glorienschein, der oft zur verzehrenden Flamme werden sollte für den Ruf des Gefeierten.
Das Reiterlied war gesungen; tiefe Spannung auf allen Gesichtern, ein banges Schweigen in dem gedrängt vollen Hause. Da trat Kaselitz als Dragoner von Piccolomini vor, und vertheilte ein gedrucktes Lied zum Lobe des Krieges unter seine Kameraden. Die Pappenheimer, die Panduren, Isolani's Kroaten, alle verstanden Deutsch zu lesen, das Orchester hub an, und nach der Schulze'schen Melodie: »Am Rhein, am Rhein!« ward ein Lied
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