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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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in die Geschichtsbücher übergegangen. Es fiel aber an dem Abende noch Manches vor, wovon sie schweigen. Ein großer Theil des Publikums hatte sich bereits entfernt. Die Begeistertsten empfanden noch das Bedürfniß, sich Muth und Hoffnung zuzureden. Hier schüttelte man sich die Hände; hier schloß man sich in die Arme; hier unterhielt man sich von Vortheilen, welche die Oesterreicher errungen haben sollten, von dem und jenem französischen General, der verwundet sei; dort von einem Volksaufstande, der sich irgendwo vorbereite, von dem ungeheuren russischen Heere, was aus dem Innern Asiens heranwälze. In bewegten bangen Zeiten knüpft die Hoffnung aus den Sonnenstäubchen, aus den Spinnfäden in der Herbstluft Taue für ihre Anker!
    Da lief schon längst ein Gerücht durch die entfernten Gruppen, daß ein Courier mit wichtigen Nachrichten angekommen, aber er und sein Pferd, gleich erschöpft, seien auf dem Markt gestürzt. Der Kommandant, welcher des Weges gekommen, habe ihn auf der Straße vernommen, und sei mit den Depeschen sogleich ins Palais geeilt. Ein kleiner Mann mit sehr wichtiger Miene, den man früher schon bei allen Gruppirungen bemerken konnte, schwang sich jetzt auf eine Logenbrüstung und schrie: »Es ist richtig, meine Herren, der Courier ist da! Er hat sich beim Fall den Fuß verstaucht – er kommt direkt vom Schlachtfelde – ich sah ihn selbst – sie führen ihn jetzt am Schauspielhaus vorbei.«
    Sogleich war an der Thür ein Gedrang; man wollte hinaus, um sich von der Wahrheit zu überzeugen. Die Entfernteren riefen: »Holt ihn herein!« – Was er auf der Straße aussagen dürfe, könne er doch auch dem Publikum erzählen.
    »Wenn uns Merkel nicht wieder eine Finte aufbindet!« sagte ein Mann in mittleren Jahren, mit lebhaften dunkeln Augen, der, seiner Kleidung nach, dem geistlichen Stande anzugehören schien; das Bleistift und Pergament in seiner Hand deutete aber auf einen Berichterstatter für eine Zeitung, was er auch wirklich war, der französische Prediger und Professor Catel, damals, und noch lange nachher, Redakteur der Vossischen Zeitung. »Diesmal hat Merkel die Wahrheit gesagt, liebster Catel,« bemerkte sein Nachbar. »Der Courier ist da, auch ich sah ihn, und was ich durch das Gedränge gehört, sind so wunderbare Dinge, daß Sie Ihre Zeitung übermorgen damit füllen können.« – »Sie verlangen doch nicht von mir, daß ich Mirakel schreiben soll!« entgegnete Catel. »Das ist weder meines Metiers, noch meiner Zeitung.
Rebus in arduis aequam servare mentem.
«
    »Ist zwar ein schöner Wahlspruch,« entgegnete der Andere, »aber es giebt doch Ausnahmen.«
    »Die sich doch wieder auf eine Regel zurückführen lassen. Alle Bewegung sinkt auf ihr Niveau oder Maß zurück und die Gesetze dieses Maßes sind die Kunst. Und das sahen wir an diesem Abend. Iffland hat sich wieder selbst übertroffen. Sehen Sie – – sehen Sie ihn da, Feuer und Flamme für den Krieg, er ist der Soldat, den er vorhin gespielt, ich glaube, wenn ihn Seine Majestät der König in die Linie beriefe, so würde er auch da vor den Rotten wie ein Meister der Kriegskunst dastehen. Und nun betrachten Sie, mit welcher klassischen Ruhe er auch dieses Feuer menagirt! Und vorhin im ›Puls,‹ das war kein Spiel, das war wieder ein Ernst, eine Wahrheit, eine Kunst, die uns an der menschlichen Natur irre machen könnte. Ohne Zweifel war er von den Auftritten, die nun folgen sollten, nicht allein unterrichtet, sondern er hat sie mit arrangirt, er lebte in dem Gedanken, und wo merkte man es ihm an! Ich habe ihn genau beobachtet. Da war jedes Fältchen der Weste, jeder Knopf wie sonst. Wie er mit der Rechten den Puls des Patienten fühlte, zählte er mit den Fingern der Linken auf dem Rücken die Schläge. Das werden Wenige bemerkt haben. Er that es auch nicht fürs Publikum, für sich, um sich selbst zu genügen. Diese Ruhe, diese Herrschaft über Leidenschaft und Welt ist es, was den Künstler macht. Ich hätte nur einen Wunsch jetzt –«
    »Doch nicht, daß Iffland selbst ins Feld ziehen soll?«
    »Nein, ich möchte ihn Talma gegenüber sehen. Jeder, bin ich überzeugt, würde den Andern bewundern, Jeder vom Andern lernen wollen.«
    »Französisches Feuer und ein Klassiker im Blute!« bemerkte ein Dritter. »Von der Kolonie!« sagte der Andere. »Die besten Preußen und gute Deutsche, und doch alle ein
tendre
für Bonaparte.«
    Ein Jubel und Hallo kündigte hier an, daß der Courier ins Theater gezogen war. Noch

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