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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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unbestreitbares Eigenthum hielt, erschien es ihr sogar als Pflicht, von diesen Gefühlen und Gedanken auszuschütten. Je schwerer uns eine Errungenschaft ward, um so mehr halten wir uns berechtigt, daß Andere Belehrung von uns empfangen müssen. Es ist nun einmal so aller Autodidakten Art.
    Adelheid war eine Kranke. Das war eine angenommene Sache, nur war man darüber uneinig, ob ihre Krankheit eine physische oder psychische sei. Die Roheren oder die Gleichgültigen sagten: sie sei so schlecht von der Geheimräthin behandelt worden, oder sie habe sich doch so wenig mit ihr vertragen können, daß sie fortlaufen musste, und man habe es dann nachher so abgekartet, als hätte die Fürstin sie nur wegen des Nervenanfalls ins Haus genommen. Von dieser erschrecklichen Behandlung oder dem inneren Zwiespalt sei das arme Mädchen krank, und schweige nur darüber aus Großmuth und Schonung gegen ihre frühere Wohlthäterin. Vermittelnde meinten, daß die Geheimräthin ihr Verhältniß zu Walter van Asten begünstigt, daß sie ungehalten geworden, weil Adelheid kalt gegen ihn geworden; das habe Beide auseinander gerissen. Aber krank konnte sie doch darum nicht sein; nicht aus Verdruß, daß sie die Liebe einer Frau eingebüßt, welche sie nie geliebt, noch Wohlthaten, welche ihr stets drückend gewesen. Genoß sie doch jetzt die volle Liebe und Wohlthaten der liebenswürdigen Fürstin in ganz anderm Maße.
    Also musste eine andere Liebe ihrem kranken, unbeschreiblichen Wesen zu Grunde liegen. Und hier war das Feld der Vermuthungen für die Feineren. Sie hätte Dem ihre Neigung zugewandt, der sie als Lehrer rasch und glücklich in ein höheres geistiges Leben geführt. Es war eine reine uneingeschränkte Neigung geblieben, welche sie, von Bewunderung und Dankbarkeit erwärmt oder getäuscht, für Liebe gehalten, bis – ein Anderer erschien, für den ihr Herz anders schlug. Sie war krank geworden, wirklich körperlich leidend, unter Gefühlen, die sie vergebens zu unterdrücken versucht. Da war – es musste eine Krisis eingetreten sein, die mit einer äußeren Begebenheit in Verbindung stand. Sie war in Folge derselben in ein anderes gastliches Haus übergesiedelt. So weit war den Eingeweihten alles klar. Sie kannten auch den Namen des Zauberers, ihn selbst. Hier aber schoß ein neues Räthsel auf, eine neue Sphinx lagerte sich vor dem Portikus, der in die Salons der Fürstin führte.
    Louis Bovillard hatte Zutritt. Die Fürstin, die um Alles wissen musste, nahm ihn, wenn nicht mit Auszeichnung, doch mit zuvorkommender Theilnahme und Güte auf. Er, bis da ein wüstes Genie, das man verloren gab, vermieden, wenn nicht gar ausgestoßen aus der Gesellschaft, ward von ihr nicht nur zu den kleinen Cirkeln und Partien gezogen, sie schien die Fahne über ihn schwenken zu wollen, wenn sie die höchsten und ehrenwerthesten Personen in ihr Haus geladen hatte. Und er ging aufrecht und stolz umher, unbekümmert um Die, welche ihn scheuten und hassten; Denen mit ironischem Mitleid sich nähernd, welche vor seiner Berührung erschraken. Bis auf eine feinere Toilette, eine gentilere Haltung schien er hier derselbe Louis Bovillard, auf den man einst auf der Straße mit Fingern zeigte; dieselche Nonchalance, derselbe kaustische Witz, mit bittern Sottisen, mit einem beißenden und vernichtenden Urtheil, derselbe Uebermuth und dieselbe Rücksichtslosigkeit gegen Die, um welche die Gesellschaft sich ehrerbietig gruppirte.
    Nur wenn Eine erschien, war er ein Anderer. Sein Uebermuth war gebrochen, sein Witz stockte, seine glühenden Augen hafteten auf ihr. Er konnte dem flüchtigen Beobachter, wenn er sie dann wieder zu Boden sinken ließ, wie ein verlegener, junger Mensch bedünken, der zum ersten Mal in eine Gesellschaft tritt. Und doch war Louis Bovillard kein Räthsel.
    Aber sie, die Eine, welche diese Wirkung auf den tolldreisten Wüstling geübt! Liebte sie ihn, sie, die so ruhig und kalt ihm entgegentrat, wie jedem andern gleichgültigen Gast, seine Verbeugung mit leichter Grazie erwidernd, um nach einigen gewechselten Worten über Wärme und Kälte, Wetter und Wind, Anderen entgegen zu eilen? Wie war sie da erfreut, schüttelte die Hände, embrassirte die unbedeutendsten und unangenehmen Damen wie nur theure Jugendfreundinnen. Nur daß sie, plötzlich in Gedanken versunken, auf ihre Ansprache zerstreut antwortete. Sie musste nicht recht zugehört haben, sie verwechselte die Personen. »Eine verzogene kleine Glücksprinzessin,« hatte da

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