Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
wohl eine vornehme Dame geäußert, die auf specielle Aufmerksamkeit Anspruch machte. – »Sie ist wohl destinirt, immer die Interessante zu spielen,« entgegnete eine Andere. – »Sie ist krank, und kränker, als wir denken,« sagte ein Arzt, der berühmte Doktor Marcus Herz, welcher sie seit einiger Zeit aufmerksam zu beobachten schien. Auf die Frage, was ihr fehle? entgegnete er: »Was unserm Staate fehlt, eine heftige Krisis, damit die Krankheit herauskommt.« – »Welche Krankheit?« – »Die schwerste, die, welche man vor sich selbst verbirgt.«
Auch die Baronin Eitelbach betrachtete Adelheid als eine Kranke; Adelheid litt an der Krankheit, in deren Ueberwindungsstadium sie sich selbst befand.
»Liebe Seele,« hatte sie gesagt, »ich kenne ja das. Sie sind verliebt und wollen sich's nicht eingestehen.«
Adelheid war aufgefahren: Sei es denn Zeit, um zu lieben, wo man nur hassen müsse? Sie hatte von der Ehre und Noth des Vaterlandes gesprochen, warm, wie es aus dem Herzen kam, in solchen Augenblicken dürfe der Mensch nicht an sich denken. Aber sie erschrak über ihre eigenen Worte. Es war eine Rede, geborgt aus einer anderen Stimmung, denn sie hatte ja eben nicht an das Vaterland, sie hatte nur an sich gedacht: wie sie dort im kurzen Röckchen unter den Platanen gespielt, unter den Brombeersträuchern Hütten gebaut, der kleine grüne Fleck hinter den verkümmerten Tannen war eine Wüste gewesen, die für sie kein Ende hatte. Das Wort Waldeinsamkeit war noch nicht ein Gemeingut, aber sie hatte die Ahnung und den Begriff. Und dann – durch dieselbe Allee war sie später gefahren, und wenn sie an die forschenden Blicke der Neugierigen dachte, die sie jetzt erst verstand, schoß das Blut ihr zu Kopf! Aber auch die Obristin Malchen und ihre Nichten verschwanden wieder wie neckende Spukgeister hinter den Gesträuchen, in denen die Sonne ihr funkelndes Gold aussprenkelte. Wie oft war sie an der Seite der Geheimräthin hier vorübergerollt! Warum war diese Erinnerung ihr jetzt weit schreckhafter? Warum rückte sie in die Ecke des Wagens, als scheue sie vor der Berührung eines Gespenstes? Verdankte sie ihr nicht viel, sehr viel, ihr ganzes geistiges Dasein dem Umgang der klugen Frau, ihren Belehrungen? Ja, vielleicht war es das, was wie ein Frostfieber ihre Adern durchrieselte. Sie war die chemische Säure gewesen, die aus der jungen Brust die Begeisterung, aus dem Blut die Elasticität gesogen, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Sie wäre untergegangen, das fühlte sie, in dieser kalten, zersetzenden Nähe, und etwas davon war in ihr geblieben, es beschwerte ihr Blut, es trübte ihren Blick, der Egoismus des Verstandes!
Und als diese wechselnden Schicksale wie die Stäubchen im Sonnenstrahl vor ihrem inneren Auge wirbelten, hatte sie sich gefragt: warum das Schicksal so wunderbar mit ihr gespielt? sie schleudere aus einem Arm in den andern, Menschen und Gewohnheiten tauschend, wie die Bilder aus einer Laterna Magica? Ob sie eine besondere Bestimmung habe, indem sie die Menschen in ihrer Schlechtigkeit kennen lernen sollte? Eine entsetzliche Frage hatte in dem jungen Herzen angepocht: hat die Natur den Menschen auf die Welt gesetzt zur Lüge, oder um nach der Wahrheit zu ringen? Die der Lüge lebten, einen andern Schein um ihr Sein woben, – hatte sie nicht beobachtet, daß gerade diese vom Glück angestrahlt waren, gesucht, geschätzt, anerkannt, selbst von Denen, welche sie durch und durch erkannten! Die dagegen kein Aushängeschild über ihr Wesen trugen, ihre Gedanken rein aussprachen, gerade auf ihr Ziel losgingen, wo hatten sie es erreicht, wie wurden doch ihre Gedanken mißverstanden, anders ausgelegt, höchstens belohnt durch eine laue Anerkennung ihres redlichen Strebens. Aber hinzugesetzt ward: schade, damit wird er nie durchdringen. Es hilft der Welt nichts, was er thut. – Was hatte Walter errungen? – Der arme Walter! Und sie! – Sie hatte ihn getäuscht, sie täuschte ihn noch immer fort, sie täuschte sich – sie war in ein Labyrinth der Lüge gerathen. Und wo der Ausweg!
Als wolle sie ihn suchen, hatte sie in die Wipfel geblickt, deren Blätter im Abendwinde durcheinander wogten, ohne daß sie nur eins mit den Augen verfolgen können. Da hatte die Baronin jene Worte an sie gerichtet. Und wieder betraf sie sich auf einer Lüge. Sie musste das Auge vor dem Blick der Eitelbach niederschlagen. So hell und klar sah diese sie aus ihren großen blauen Augen an. Das ausdruckslose Gesicht
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