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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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Kraft, um der Tyrannei zu widerstehen. Der corsische Riese, der mit den Flügeln des Vogels Rock die Welt umspanne, wisse was er thue, indem er das Ureigene der Nationen erdrücke, um sie in eine Allgemeinheit von gleicher Farbe, gleicher Prägung zu stampfen. Das ermatte den Lebensnerv; woran solle die Begeisterung, der Patriotismus sich klammern, wenn ein Pfeiler nach dem andern der alten heiligen Erinnerungen, der Töne und Bilder zerbreche, an denen wir uns als Kinder gehalten? Das unscheinend Unbedeutendste sei da von Wichtigkeit, ein altes Lied, es dünkt uns ohne Sinn, ein Sprüchwort, eine Ruine, ein dunkler Winkel, den ein Geist, eine Sage umschwebt, eine Gewöhnung, die uns albern erscheint, Alles sei doppelt bedeutend, was als Heftnadel gelten könne, um ein Volk zusammenzuhalten, in einem Augenblick, wo Alles hinarbeitet, es zu zersplittern und sein Dichten und Trachten in allgemeine Begriffe von Wohlergehen und Glückseligkeit aufzulösen.
    Er ging noch weiter: nur den Nationen, welche diese ihre Nationalität festgehalten, winke die Palme des Sieges. Nicht seine Insellage schütze Albion, sondern das ehrenwerthe Festhalten an den alten Sitten und Gesetzen. So sah er in Spanien eine Mauer, an welcher des Eroberers Ehrsucht scheitern müsse, er erwartete von den Basken in den Pyrenäen, daß sie die Standarte der heilig gehaltenen Volksrechte erheben würden, er blickte nach Russlands Steppen, wo eine Völkerwiege das Ureigene braue, aber seine Stimme wurde bewegt, als er von dem theuren, deutschen Vaterlande sprach, einem Volk, das sich selbst zerrissen und sich nicht wiederfinden könne, das wie Kinder, die Muscheln am Meere sammeln, alles Neue, Fremde, Glänzende aufgreife, das wie ein Schwamm die Feuchtigkeit der Luft einsauge und seine schönsten Eigenschaften zu selbstmörderischer Thätigkeit auspräge. Mit seltener Empfängnißkraft begabt, drängt seine Natur es dazu, alles Große zu bewundern, aber sein böser Geist wolle, daß es nur das Fremde bewundert; wo die eigne Größe Anerkennung fordert, erschrecke es scheu, kalt, ängstlich, und im Mißtrauen an sich selbst zergehe die schönste Kraft.
    Der Redner, ein junger Mann von hoher Abkunft, hatte einen doppelten Fehler begangen. Er hatte begeistert gesprochen; die Begeisterung gehört in keinen Salon. Er war selbst gerührt worden; das war ein Fehler unter allen Umständen. Er hatte aber auch sein Auditorium nicht berechnet, und das war unverzeihlich. Er befand sich in Friedrichs Hauptstadt, in einem Kreise von Würdenträgern und ausgezeichneten Männern, die sich für Träger der Monarchie des großen Königs hielten, diese selbst aber für so fest, gesichert und in gutem Stande, daß es nur einiger Ausbesserungen bedürfe, aber keines Fundamentalbaues. War nicht seine ganze Rede ein einziger Angriff gegen die Schöpfung des Einzigen? Wo war denn die Nationalität hier, die er als einzigen Anker, der Zukunft und Vergangenheit zusammenhalte, anpries? Wo das ureigne deutsche Element? Friedrich, der mit dem Degengriff und der Feder zerstörend in das Zerfallende hineingegriffen, hatte eine Schöpfung hingestellt, die der Gegenwart angehörte. Freilich hatte er diesen Vorwurf in seinem Sinne nicht deutlich ausgesprochen, noch begriffen es Alle, aber man fühlte es.
    Ein peinliches Schweigen war eingetreten. Einige Damen lobten hinter dem Rücken das sonore Organ des Redners: leise aber laut genug, daß er es hören konnte. Man begegnete ihm mit großem Respekt, aber – es galt seinem Stande. Der junge Mann fühlte sich unbehaglich, er verschwand bald; er war noch zu Hofe geladen.
    Dennoch hatte sein Rede einen Eindruck hinterlassen.
    Ob die Fürstin das Lob der Nationalität, die Hoffnung auf Rußland, für ein Kompliment genommen?
    »Was sagen Sie dazu?« sprach sie, aus ihrem Nachsinnen erwachend, als ihr Blick auf einen Mann fiel, dessen Stirn, Auge, Haltung den Künstler nicht verkennen ließen, der sich mit dem Stolz des Bewusstseins in dem Kreise bewegte, welcher an Stand und Geburt weit über ihm stand. Aber sein Blick, seine Sprache, die Nonchalance seines Wesens bekundete, daß er sich, wenn nicht ihnen gleich, doch frei und unberührt von der Präponderanz dieser Geburts- und Standesvorzüge fühlte, ohne doch in das umgekehrte Extrem einer brusken Nichtachtung zu verfallen. Er hatte der Rede des jungen vornehmen Mannes mit zugehört, anfangs aufmerksam, dann hatte er mit dem Kammerherrn von St. Real eine Marmorgruppe betrachtet, und

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