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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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bettelarm wären, und zottig umherlaufen müssten in unserer Blöße, lohnt sich's da, um den Schnitt und das Kostüm uns zu hassen? Denn weiter ist die Nationalität nichts.«
    »Einem Bildhauer vergebe ich diese Naturauffassung. Aber Sonne, Klima, Luft wirken verschieden auf die Kreatur Die Nationen sind verschieden in Gemüthsart, Intentionen, das können Sie nicht abstreiten.«
    »Ja, in jedem Lehrbuch steht's, daß der Franzose leichtes Blut hat, der Spanier schwarzes, der Italiener heißes, der Deutsche warmes. Der Franzose ist leichtfüßig und eitel, der Italiener zänkisch und rachsüchtig und der Deutsche keusch und treu. Eigentlich brauchte man nur an den Puls zu fassen, und gleich hätte man weg, von welcher Nation Jemand ist. Schade nur, Prinzessin, daß ich in Italien die liebsten Menschen fand, von warmem Blut und dem besten Herzen, fleißig, emsig, rechtschaffene Familienväter und treue Freunde. Sollte ich sie darum hassen, oder die Franzosen, weil Montesquieu und Rousseau, weil Buffon und Laplace Franzosen waren, oder alle Deutsche darum lieben, weil sie alle grad, ehrlich, Männer von Wort, Biedermänner und keusch wie Joseph sind?«
    Herr Schadow hatte dabei wie zufällig den Blick auf dem Kammerherrn von St. Real ruhen lassen, welcher etwas unruhig ward. Es giebt Thiere und Menschen, welche das Fixirtwerden nicht vertragen. Die Fürstin, sichtlich bewegt, nahm wieder das Wort: »Sie haben Recht, die Nationalität ist auch nur ein Götze, geknetet und angestrichen aus Leim und Koth, aus Träumen und Blut. Aber, Herr Schadow, ein schön geformtes Götterbild bleibt's, schöner als Ihr Apollo und Jupiter.«
    Der Meister hatte eine Prise genommen: »Ja, die Kostüms sind recht hübsch, ich zweifle gar nicht, daß der Patriotismus einst eine Rolle spielen wird.«
    »Wie wir Alle!« sagte die Fürstin, indem ihr Blick die Gesellschaft überflog. Die Gitelbach und Laura gingen vorüber; sie nickte ihnen zu, aber ihre Gedanken waren mit Anderem beschäftigt, und die Worte kaum an den Bildhauer und den Kammerherrn gerichtet, so wenig als an den Rittmeister Dohleneck, der eben aus dem andern Zimmer auf sie zuschritt. Sie sprach mit sich selbst: »Wir Alle spielen eine Rolle, vor Andern oder vor uns selbst. Wenn wir uns doch darüber nicht täuschen wollten! Schadow hat Recht, was ist denn unser eigenstes Eigenes? Die Scene, wo wir auftreten, das Licht, das uns anleuchtet, das Kleid, das sich an unsere Glieder schmiegt, es übt Einfluß, es macht uns erst zu dem, was wir scheinen; das Lächeln der Lippen, es ist angeblasen vom Augenblick, der Stimmung: Alles, was wir zu besitzen glauben, ist Geborgtes, und wir nur Molusken, die Farbe und Gestalt annehmen von der Flüssigkeit, die sie einsaugen, Schmetterlinge, denen der Blüthenstaub den Duft leiht, und der Finger des Knaben entfärbt sie wieder; Irrlichter sind wir, schaukelnd in der Vibration der Luft, und unsere thörichtste Rolle, es ist die unverschämte Lüge, wenn wir wahr zu sein glauben.«
    »Dazu, meinen Einige, wären wir auf der Welt,« entgegnete der Meister. – »Schadow, haben Sie nie die ungeheure Leere empfunden, dies gähnende, graue Mißbehagen der Kreatur?« – »Niemals, meine Gnädigste.« – »Ich kann den Trinker begreifen, der ausstürzt Becher über Becher, immer feurigern Wein, es ist die Molluskensehnsucht nach einer Existenz, nach einer Verkörperung des Geistes.« – »Wenn ich den brennenden Durst empfinde, den Erlaucht meinen,« sagte Schadow, »dann knete ich ihn in Thon und meißle ihn in Stein.« – »Und das todte Werk vor sich, sind Sie befriedigt?« – »Da ist's heraus, fix und fertig, was mich plagte, nach allen Regeln steht's vor mir, und ich bin frei.« – »Glücklicher – Unglückseliger! Bis Sie wieder von Neuem geplagt werden.« – »Dann schaff' ich's von Neuem aus mir raus.« – »Und käme eine andere Zeit, die alle diese Regeln zusammenwürfe?« – »Dann habe ich für meine geschaffen und genug gethan.«
    War das Zustimmung, war es Schadenfreude, oder wo kam der Funke her, der plötzlich über ihr Gesicht zuckte: »Und Sie haben Recht. Wir, wir leben ja Alle nur für unsere Zeit. Nur unsere Rolle gut durchgespielt, das ist die Aufgabe. Harmonie hineinbringen müssen wir, nicht aus den Sphären, die bringt schrillende Disharmonieen. Die Harmonie des Scheins. Sie schaffen, was heute gilt, der Komponist, was heute die Ohren kitzelt, der Philosoph, der Politiker, – ach, mein Gott, wohin verirrten

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