Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
wäre nicht der Legationsrath gewesen. Im Nebenzimmer arrangirte man Spieltische, es wurden schon Karten umgereicht.
»Werden Sie spielen?« fragte Wandel. – »Werden Sie reisen?« entgegnete die Geheimräthin. – »Ich riethe Ihnen eine Karte zu ergreifen.« – »Und ich Ihnen zu reisen.« – »Warum?« – »Aus demselben Grunde, weshalb Sie mir zur Karte rathen. Man ist der Mühe überhoben zu antworten, wenn man fürchtet gefragt zu werden.« – »Gilt der Haß, dem Sie die Gesellschaft geweiht, auch mir?« – »Ich bin es müde, Räthsel zu lösen.« – »Im Augenblick, wo Sie den Schlüssel fanden?« – »Um auf einen neuen Verschluß zu stoßen. Viel Glück, Herr Legationsrath, in Rußland.« – »Will ich, gehe ich denn dahin?« – »So wollen Sie Jemand damit täuschen?« – »Meine Feinde. – Kennen Sie meine Feinde?« – »Nicht alle – Einige.« – »Verlangen Sie, daß ich die Sorgen, unter deren Wucht ich meine Freundin erliegen sehe, noch durch Mittheilung von Verhältnissen erhöhe, die nur mich allein betreffen! Nicht mich allein – nein, gewiß nicht, ich bin der letzte – aber Niemand, der mir persönlich theuer ist.« – »Ihre Sachen sind gepackt, Extrapostpferde stehen für Sie täglich im Hofe des französischen Attaché bereit.« – »Das ward Ihnen bekannt?« – – »Durch Zufall.« –
Er sah sich um: »Wenn Sie eines Morgens hörten, daß ich über Nacht aufgegriffen, über die Gränze geschleppt ward, und wenn am andern Abend die Nachricht käme, daß er mich füsiliren ließ, so würden Sie den Grund der Vorsicht wissen.« – »Wer?« – »Napoleon.« – »Da würden Ihre Pferde doch nicht beim Vicomte Marvilliers stehen.« – »Der Löwe sucht nach dem Raub nicht in seiner Höhle.« – »Aber der junge Attaché!« – »Wenn ich Ihnen sagte, daß er darum weiß, wäre ich ein Verräther. Ich will kein Verräther werden, lieber – scheiden.« –
Er hatte sich halb umgewandt, um rasch die Hand der Geheimräthin zu ergreifen: »Leben Sie wohl,« lispelte er.
»Nur Eines – ist Ihr Leben in Gefahr?«
»Noch nicht, aber – gütiger Gott! Die peinliche Erwartung einer Entscheidung in der ich täglich schwebe, verschließt mir die Lippen, wenn ich sie öffnen müsste, um Vertrauen zu gewinnen. Ich klage Niemand, Sie am wenigsten an. Im Gegentheil, Sie haben Recht, daß Sie mir dies Vertrauen nicht schenken, ganz Recht; verdammen Sie mich als Lügner, der die Pflicht hatte zu sprechen, und wenn er den Mund öffnen sollte, ihn verschließt, als kaltherzigen Intriguanten, der mit den Gefühlen spielt, der edle Herzen zerreißt, verdammen Sie mich, Sie haben Recht aber – wenn es vorbei ist, widmen Sie mir eine Thräne der Theilnahme, wenn Sie erkannt, daß ich nicht anders handeln durfte.«
»Wandel!« sie hielt inne – »Wann – wann kommt die Entscheidung?« – »In einer Woche, vierzehn Tage – höchstens einen Monat, wenn aus Warschau –« »Aus Warschau?« – »Ich betheure Ihnen, es ist nur eine Vorsichtsmaßregel; vielleicht zerläuft Alles wieder, wie so oft, in Luft und Wind.« – »Wer ist in Warschau?« 150; »Entfiel mir das Wort? – Ich bin verwirrt –« »Das muß Entsetzliches sein, was Sie außer sich bringt.« – »Was ist entsetzlich, Freundin, in diesen Weltkrisen?« Seine Hand zitterte in der ihren. »Ihr Scharfblick errieth es. Nun bin ich in Ihre Hand gegeben. Mein Leben hängt von Ihnen ab. Gehen sie zu Laforest und –« »Sie phantasiren. Als ob er nicht wüsste, daß Sie mit der Russischen Diplomatie verhandeln.«
»Auch daß man mich verstrickt, nennen Sie es Zufall, in ein Netz gezogen, dessen Zipfelende die Bourbonen halten; daß Ludwig XVIII. wieder in Polen ist, daß Dinge in Frankreich vorbereitet werden; daß in Napoleons nächster Umgebung Personen gewonnen sind; daß ihm die Flaschen mit dem Kellersiegel, die er mit sich führt, nichts helfen; daß die Suppe, die er kostet, das Geflügel, das er in den Mund führt –«
»Schweigen Sie, um Gottes Willen, schweigen Sie –«
»O, ich möchte Alles, was man mir eingefüllt, ausgießen, es zersprengt meine Brust; denn bei Gott, nur mein böses Glück, nicht mein Wille, hat mich hier verstrickt. – Ich fühle mich schon erleichtert, daß ich eine Miwisserin habe, bei der mein Geheimniß wie im Sarge ruht –« »Man wird auf uns aufmerksam werden, daß wir uns so lange absondern.« – »Sie haben Recht, und ich die Beruhigung, daß, wenn ich plötzlich
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