Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
von der Arglist und Tücke der Menschen vorerzählt, glaubt Ihr, daß Ihr sie dadurch schützt? In ihrer Angst und Verwirrung läuft sie von selbst ins Netz.«
Das junge Reh stand plötzlich unter ihnen. Laura hatte wohl nur durch das Zimmer gewollt, denn der Glanz ihres Auges verrieth nicht, daß sie gelauscht, noch von dem, was hier über sie gesprochen worden, eine Ahnung hatte. Auch verrieth die Miene der Fürstin nichts von Betroffenheit, als sie die Flüchtige erhascht, und den Arm um ihre Schulter, wie eine Mutter um ihr Lieblingskind, schlang. »Haben Ihnen nicht die Ohren geklungen? Wenn Sie wüssten, was wir gesprochen, würde Laura bis über die Ohren roth werden.« Die Comteß meinte, es wäre sehr heiß. »Nun möchte der Wildfang gleich aus Fenster stürzen, um sich zu erkälten. Nein, Comteß, hier ist ein Familienrath, ich stelle die Mutter vor, und alle diese Freunde werden mir beistehen, Sie zu hüten.« – »Ich bin Ihnen sehr obligirt –« »Aber das Kind weiß selbst, was ihm am besten ist! Nicht wahr? So lese ich Ihre Gedanken, die geheimsten auch, aber – ich verrathe nichts. Ist sie nicht ein Feenkind,« wandte die Fürstin sich zu den Andern; »da ist doch kein verborgenes Fältchen, nichts Angelerntes, nichts von Verstellung. – Sehn Sie in dies Gazellenauge; nur etwas zu munter noch, leichtsinnig', flatterhaft, ein Schmetterling, der lauter Honig naschen möchte, aber mit der Zeit pflückt man Rosen, mit der Zeit wird sie auch den rechten Weg finden. Ach, das macht sich Alles von selbst. – Sehn Sie! Jetzt sollte ein Maler diesen Augenniederschlag, diese Grübchen am Kinn malen. Herzens-Engelskind –«
Die Fürstin wollte sie embrassiren, aber statt des Feenkindes mit den Pfirsichwangen stand ein blasses, scharfgeschnittenes Gesicht vor ihr, statt des blühenden Hauptes mit dem phantastischen Lockenbund eine eng anschließende Haube mit Spitzen, und statt der Gazellenaugen, die gutmüthig und gedankenlos umherschweiften, fuhr ihr ein stechendes kleines Augenpaar entgegen. Die Geheimräthin Lupinus war unangemeldet eingetreten.
»Mein Gott, welche Überraschung!«
Die Gargazin spielte hier keine Rolle, als sie mit den geöffneten Armen zurück fuhr. Es war eine vollkommene natürliche Überraschung; denn sie war jedes andern Besuchs gewärtig, als der Lupinus, die zwar zu ihren Soireen ein für alle Mal formell eingeladen, aber noch nie gekommen, auch nie erwartet war. Ob sie aus Nachlässigkeit der Domestiken unangemeldet bis in das Zimmer gedrungen, ob die Fürstin im Eifer des Gespräches die Meldung nicht gehört, lassen wir unentschieden, aber Thatsache war, daß sie unbemerkt mitten im Zimmer stand und der Wirthin in dem Augenblick sich näherte, als die Comteß durch eine Seitenbewegung sich den Armen der zu gütigen Fürstin entwunden hatte.
Alle waren überrascht; nur die Überraschende schien sich in der Wirkung, die ihre Erscheinung hervorrief, zu gefallen. Sie hatte etwas gestört, vielleicht zerstört, eine Gruppe voll Liebe und Einigkeit. Die Lust, welche das Zerstören veranlasst, wird von Vielen als eine Wollust geschildert.
Die Lupinus war eine Andere geworden, als wir sie kennen gelernt. Die bunten Farben waren aus ihrer Kleidung verschwunden, aus ihren Zügen der Liebreiz, der noch fesseln konnte, während die Schärfe derselben zurückschreckte. Ihre Augen konnte man nie eigentlich schön nennen, aber es lag zuweilen etwas Schmachtendes, Sehnsüchtiges darin, was mit dem lauernden Aufblitzen versöhnen mochte. Man bedauerte sie, man las die Unbefriedigung, welche als Unruhe in ihr aufzuckte. Diese Unruhe schien einer eiskalten Ruhe gewichen. Schien, sagen wir, so lange sie Herrin über sich blieb, aber in Momenten zuckte das Feuer der Unruhe wieder heraus, ihr Auge schoß Blitze, die wehe thun konnten, vor denen ein sanftes Auge sich verschloß, wie ein keusches Gemüth vor einem Anblick, den es nie gesehen, und doch hat es die Empfindung, daß es so etwas nicht sehen darf. Und doch, wie schnell war die Ruhe wieder über das Gesicht ausgegossen und ein Lächeln schwebte um die Lippen, das ein Maler vielleicht mit dem einer Heiligen verglichen, die unter Folterqualen zu den Umstehenden spricht: Es schmerzt nicht.
Die Fürstin und die Geheimräthin hatten einen Versuch gemacht, sich zu embrassiren, ein Versuch, der, an irgend etwas gescheitert, in einem wiederholten Händeschütteln sich aufgelöst.
»Ich werde Ihnen das nie vergessen, da ich weiß, was Sie
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