Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Natur näher sind. Wenn auch nicht bei den Schäfern, doch in der Hütte, die der Fliederstrauch überschattet, sollte der Friede und das Glück des Lebens zu suchen sein. Bei aller Blasirtheit der vornehmen Welt konnte sie dieser Stimmung durch Spott nicht wehren, ja sie erwehrte sich selbst ihrer nicht. Man musste idyllisch sein.
Wir sehen eine solche glückliche Familie den langen, beschwerlichen Weg hinaus wandern. Sie steigen über den Sand des Templower Berges, dann suchen sie den festeren Fußsteig, der neben der durchwühlten Straße, fast baumlos nach dem Dorfe führt. Die Sonne brennt am wolkenlosen Himmel, und ihre Schritte sind nicht leicht; außer der Sonntagsstimmung bringen sie ja in Körben und Pompaduren mit, was zur Erheiterung dieser Stimmung dienen soll. Oft muß der Familienvater das Taschentuch herausziehen, um den Schweiß zu trocknen und oft hält er still und sieht, ob die Andern nachkommen. Da verstummt wohl das Gespräch, aber sie bleiben heiter. Unter den schattigen Ulmen, welche die Avenue des Dorfes bilden, hält endlich die Mutter und setzt ihren Beutel nieder, während der Vater sich umsieht: »Aber wo ist denn Adelheid?« – »Ach du mein,« ruft die Mutter, »da trägt das Kind doch den schweren Korb der Jette. Hab' ich's ihr nicht verboten?« Die Adelheid aber hüpft heran und setzt den Korb zu ihren Füßen nieder: »Mütterchen, er war gar nicht schwer.« Die Gluthröthe, die ihr Gesicht überzieht, straft sie Lügen. Sie steht einen Augenblick athemlos. »Aber englisches Mädchen, wie konntest Du das thun!« Der Vater schüttelte den Kopf. Aber als ihre Röthe verschwindet, weist die Tochter auf das Mädchen, das noch röther gefärbt herankeucht: »Die Jette konnte ja nicht mehr.« Der Vater murmelte: »Dafür ist sie im Dienst,« doch es schien ihm nicht Ernst; er klopfte die Tochter auf die leuchtenden Schultern: »Knüpfe Dein Tuch zu, Du bist echauffirt, und wir sind gleich im Dorf.« Der Wind wehte in die alten Ulmen, als wollte er die kleine Disharmonie weghauchen; die Jette nimmt wieder den schweren Korb auf die Hüfte und im Schatten der Bäume geht der Zug munter weiter.
Nun fängt der Festtag an. Die Hunde klaffen, als sie das leichte Gitterthor in der Lyciumhecke geöffnet. Adelheid kennt sie, und sie kennen Adelheid; sie streichelt sie und sie wedeln zu ihren Füßen. Aber es ist tiefstill im Gehöft. Die Flurthür ist nicht verschlossen, doch auch im Innern des Hauses kein menschliches Wesen. Nur der graue Kater springt über den Herd, und im Zimmer schnattert der Staar in seinem Käfig, indeß die Wanduhr monoton tickt. – Ach sie sind Alle auf dem Felde! Und das Feld ist weit. – Dadurch scheint die Lustbarkeit gestört. Soll man die Jette wieder im Sonnenbrande hinausschicken? Nein, der graue Kater, der vor den Eindringlingen durch die angelehnte Kammerthür entflohen ist, zeigt ihnen ein anderes Auskunftmittel. Da liegt ja die alte Großmutter im Bette. Sie ist schon etwas närrisch und kann kaum mehr sprechen, aber Adelheid hat es ja neulich zu Pfingsten verstanden, ihr Töne und Verständniß zu entlocken. Ja, die Alte liegt noch da, stumpfsinnig lächelt sie, wie zu allem, auch den Eintretenden zu, ihre Anrede ist ihr nichts anderes, als das Ticken der Uhr. Aber sie gafft Adelheids Gesicht an, ihr Grinsen wird zum Lächeln; sie muß sich neben sie setzen, sie streichelt ihre Locken mit der dürren Hand und wie durch die Berührung allmälig elektrisirt, kommen Töne hervor, minder kreischend. Es leuchtet auch etwas wie Besinnung im Auge. Sie verständigen sich, ein Wort, ein Blick und sie wissen, daß die Hausfrau im Kuhstall ist.
Bald fährt Frau Brösike vom Melken auf, denn ein seltsames Kikeriki schallt ihr aus der Wandluke. »Wetter! Wo kommen denn die Hühner her!« und als sie sich umwendet, blitzen ihr zwei wunderblaue Augen entgegen unter einer blonden Lockenfülle, und die kirschrothen Lippen öffnen sich, um zwei Reihen Perlenzähne zu zeigen und ein: »Angeführt mit Löschpapier, Frau Brösike!« ihr zuzurufen. »I, so soll doch!« ruft die Bäuerin und lässt den Melkeimer fallen, aber ihre Ueberraschung ist keine unangenehme: »Ach, die seelenhübsche Mamsell Adelheid vom Gensd'armenmarkt!« Auf dem Hofe aber hat eine andere Ueberraschung Platz gegriffen, die nicht so angenehmen Eindruck hinterlässt. Das Dienstmädchen hatte eben vom Schöpfbrunnen den vollen Eimer an die durstigen Lippen gesetzt, als eine heftige Ohrfeige, die aus der
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