Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
durstig.«
Die Erklärung des Besonderen schwebte schon heran. Adelheid kam aus dem Kruge mit einem Glase Weißbier. Wer ein Glas Weißbier, das berliner große Glas, welches in der populären Sprache nicht mit Unrecht eine Stange heißt, gesehen hat, wie der Schaum, wenn es gut eingegossen, noch einige Zoll über den Rand steht, und der Porzellandeckel mit seinem Knopf am Rande des Glases schweben muß; – und wer die Unebenheit des Weges und die Entfernung erwägt vom Kruge bis zur Linde, der konnte sich über Adelheids Geschicklichkeit wundern, ein Künstler aber würde sich gefreut haben, mit welcher Grazie sie das Glas trug.
Die schönen Formen des Mädchens entwickelten sich bei jedem Schritt, und mit jedem trat sie, zuerst vorsichtig ausschreitend, sicherer auf. Als sie aber, die Anhöhe unterm Baume hinaufsteigend, das Glas mit beiden Armen erhob und dem Vater zulächelte, glich sie doch dem Meisterwerk eines griechischen Meißels, der Hebe, die den Göttern die Schaale reicht.
»Daß Dir's gut bekommt, Papachen!«
Der Vater setzte an und leerte ein gutes Viertel in einem Zuge. Er reichte es der Tochter, weil sie als Botenlohn das nächste Recht habe. Sie nippte und reichte das Glas der Mutter.
»Ich mag nichts,« die Mutter musste ja stricken.
»Alte, trinke. Schluck runter, was Dich verdrießt.«
Sie durstete auch. Sie wollte nur gezwungen nippen, aber sie trank. – Den Unmuth hatte sie nicht ganz hinuntergeschluckt, als sie das Glas zurückgab.
»Die Adelheid in den Krug zu schicken! Das ging wohl an, so lange sie die Flechten im Nacken trug. Und weißt Du denn, ob nicht Soldaten im Kruge sind!«
Der dritte August, oder die warme Sonne, oder das Spiel des Lindenlaubs musste auf der Brust des Kriegsraths das Erz geschmolzen haben. Er fuhr die Frau nicht an, worauf sie doch gefasst war, er sagte nicht, sie solle sich um das bekümmern, was sie anginge, – er gab ihr Recht. Aussprach er es nicht, aber er zupfte der Lieblingstochter am Ohr: »Die Clara soll das Glas nachher zurückbringen und das Pfand einlösen.«
»Vater, es sind im Krug keine Soldaten. Aber den alten Major Rittgarten traf ich da mit dem steifen Beine. – Der lässt Dir sagen, nach Tisch will er uns auf eine Tasse Kaffee besuchen. Er freute sich, mich zu sehen, und freut sich noch mehr, mit Dir ein halb Stündchen zu plaudern.«
»Ich will gar nichts damit gesagt haben, Alter, daß Du durstig warst und mal einen guten Trunk Dir machen wolltest,« sagte die Frau, als die Tochter fortgehüpft war, »auch meinethalben mochtest Du sie schicken, aber thue doch die Augen auf; sie wächst ja aus den Kleidern raus, und wir thun noch immer, als ob sie ein Kind wäre.«
»Ist geboren in der Nacht, wo der Gensd'armenthurm einstürzte,« sagte der Kriegsrath. »Das vergißt sich nicht und lässt sich leicht ausrechnen.«
»Nun ja, siehst Du, für uns kann sie immer noch ein Kind sein, aber was sollen die Leute draußen sagen! Die kurzen Röckchen, das passt doch wirklich nicht mehr.«
Nach einer kurzen Pause sagte der Vater: »Soll andere Kleider bekommen, hab's schon in meinem Etat mir zurecht gelegt.«
In solcher nachgiebigen Laune war er seit Jahren nicht gewesen. Ein Eisen muß man schmieden, so lange es heiß ist.
»Sie spricht auch noch manchmal wie ein Kind.«
»Ist Dir das wieder nicht Recht? Soll ich das auch anders machen?«
»Du nicht, Alter, nein, aber die Erziehung. Die Nähschule und die andere, nun ja, so lange ging es. aber wir sind doch nun was anderes. Das Bischen Französisch, das ist ja gar nichts. Sieh mal des Inspektors Töchter, die über uns wohnen, wie parliren die schon! Und wovon sprechen sie nicht, wenn sie in Gesellschaft sind, von römischer Geschichte und Bonaparte und Afrika, und von dem Dichter Schiller wissen Dir die Tischlertöchter drüben ganze Gedichte auswendig. Mir ist da oft zu Muthe, als müsste ich mich verkriechen, weil ich davon nichts gelernt. Nun, ich bin eine alte Frau, oder werde's doch werden, aber um die Adelheid thut's mir oft in der Seele weh, wenn sie so gar nicht mitsprechen kann. Nicht einmal einen Roman hat sie gelesen und ein einziges Mal ist sie in der Komödie gewesen. Gott sei Dank, sie hat Mutterwitz, daß sie's ihnen geben kann, und darum behält sie Respekt. Aber, lieber Mann, französisch muh sie lernen und ein Bischen auf dem Klavier klimpern und vor allem tanzen.«
Der Vater passte drei Mal heftig, und schlug sich auf den Schenkel: »Tanzen soll sie nicht lernen!
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