Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
hält denn Ihr großbritannisches Reich zusammen, als daß es Eins ward, Briten und Sachsen, Sachsen und Normannen, Engländer und Schotten, selbst das widersträubende Irland hat der Nationalsinn mit eisernem Arm an die gemeinsame Brust geklammert. Wäre es Bonaparte damals gelungen, hätte er Ihre Schiffe gesprengt, Ihre Strandbatterieen durchbrochen, Ihre Armee geschlagen, London genommen, hätte er die Mythe ins Leben und die Kronen von Frankreich und England auf eines, sein Haupt gesetzt, hätten Sie sich genügen lassen mit einem kleinen Walliser Reich oder Piktenreich? Zerfallen und zerfahren war Ihr schöner germanischer Staat, wenn der Nationalsinn kein Herz mehr hatte, von dem alle Adern ihr Blut empfingen. Uns hat man die Adern unterbunden, seit Jahrhunderten das Blut abgezapft und es in andere Kanäle zu leiten gesucht, und doch wallt und strömt es immer wieder nach dem Herzen hin. Es sucht es und kann's nicht finden, das ist seine Qual, aber es muß, es wird es wieder finden, – oder der deutsche Name ist ausgestrichen aus der Geschichte.«
»Und in England, wollten Sie sagen,« fuhr der Brite, ohne aus seiner Gelassenheit zu kommen fort, als der Minister plötzlich inne hielt, »daß die getrennten Stämme dies Herz erst gefunden haben. Richtig; es war ein glücklicher, aber ein künstlicher Prozeß.Die Fusion des Blutes ist hergestellt, aber der Stempel darauf ist das Interesse. Das sollten Sie doch nicht vergessen, Sie lesen es ja auch in allen Journalen und Schriften. Ja, Excellenz, wir dürfen uns darüber nicht täuschen, es ist das Interesse, was uns zusammenfügte und hält, ein Band, das Napoleon durch seine Kontinentalpolitik täglich fester macht. Aber wenn wir sehen, daß die Kontinentalmächte, in deren Interesse es lag, mit unserm zu gehen, ihr eigenes vergessen, wenn wir sie schwanken sehen von einem Tage zum andern, ihre Entschlüsse ändern, dann – mein Herr, wir sind Kaufleute, Phantasieen und Fanatismus, zu manchen Geschäften gut, um den Impuls zu geben, tragen wir in unserm Kontobuch nur unter dem Riskontro ein. Napoleon ist ein großer Spekulant, er setzte bisher Alles auf eine Karte; so lange trauten wir ihm nicht. Seit er aber im fortdauernden Gewinnen und sich immer konsequent ist, dürfte England dahin kommen, ihn als einen solidern Kaufmann zu betrachten, mit dem es sich wohl einmal auf ein Geschäft einlassen könnte.«
»Pitts Nachfolger werden und können sich auf eine Associéschaft mit Bonaparte niemals einlassen.« – »Alle Vorstellungen täuschen, sobald die Rechnung eines andern Facit giebt.« – Der deutsche Staatsmann sah ihn scharf an: »Mylord, ich habe mir die Achtung vor dem Charakter bewahrt, auch in der Politik – und ich glaube, nie falsch gerechnet zu haben. Ein wirklicher Charakter stimmt mit den Gesetzen der Mathematik. Die Maske ist zu durchsichtig. Wo könnte England gewinnen?«
»Wenn es die schwankende, haltungslose Politik Derer, die seine Freunde sein müssten und es nicht sind, sich selbst überlässt. und mit dem starken Feinde ein einfaches Geschäft macht, Zug um Zug.« Der Brite sah sich vorsichtig um. Indem sein Blick auf Walter fiel, dämpfte er die Stimme. Es war ein stilles Zwiegespräch von einigen Sekunden. Der Minister horchte, den Kopf etwas vorgebeugt, zu, bis er ihn wieder in die Höhe warf. Er war ein ganz Anderer geworden. Alle Unruhe und Agitation war fort. Sein Auge lachte sogar etwas höhnisch, als er mit lauter Stimme sprach: »Daß er die Proposition machen ließ, bezweifle ich gar nicht, wenn er aber England Hannover zurück anbot, so kenne ich die klugen Kaufleute in der Downingstreet zu gut. Fehlgeschossen, Ihr greift nicht nach dem Danaergeschenk. Wie! Eine Heerde Euch schenken lassen, und wenn sie Euch gehörte seit Abrahams Zeit, aber um Haide und Stall haben sich Wölfe gelagert! Wollt Ihr sie annehmen unter der Kondition, daß Ihr die Wölfe nicht bekriegen dürft, daß Ihr Eure Lämmer unter der Aufsicht der Raubthiere scheert und die Wolle holt? Glaubt Ihr zu besitzen, was nur auf einem Vertrage beruht, und wenn der Wolf hungrig ist, wollt Ihr ihm das Papier entgegen halten? Nimmermehr, Mylord, lehren Sie mich von Ihren Staatsmännern nicht kleiner denken, nicht an sie den Maßstab von diesen hier anlegen. Ja, sei es, das Interesse allein trennt und verbindet, und darum bleibt England uns verbündet, wie gut oder wie schlecht wir's ihm gelohnt. Und doch rechne ich nicht darauf – ich habe gelernt, auf nichts
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