Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
bis unten angestrichen. »Es ist nur die Entwicklung jener Wendung des Gedankens. Ich glaube, sie ist folgerichtig und nicht Unglücklich.« – »Ich glaube es auch,« sagte der Minister. Es wetterleuchtete wieder. Er sprach rasch in abgestoßenen Sätzen: »Also Ihre Entwickelung? Mit Ihren Fingern geschrieben? Zweifle ich nicht. – Und der Rittmeister, Ihres Vaters Freund, hat nicht mit Ihrem Wissen gehandelt? Ich will es glauben. Kennen Sie den Regierungsrath Fuchsius? Still! Es kommt nichts darauf an. Die Verlegenheit will ich Ihnen sparen. Gedanken fliegen nicht allein durch die Lüfte, auch durch die Finger von Abschreibern. Sind Sie ein Clairvoyant? Ja, ich hörte, aus der romantischen Schule. Sahen Sie die Ausführung, Seite für Seite, Satz für Satz Wort für Wort durch die Mauer schimmern? Sie schrieben vermuthlich um Mitternacht, beim Vollmond. Sagen Sie ja. Auf eine Illusion mehr kommt es einen Romantiker nicht an, und wir scheiden in Freundschaft. Ich kann Sie noch als einen ehrlichen Menschen aus dem Sinn schlagen, wenn Sie mir ehrlich versprechen wollen, künftig zu wachen, wenn Sie über Dinge schreiben wollen, die Sie zu verstehen glauben.«
»Ich bin kein Ödipus, Excellenz, und stehe sprachlos vor dieser Sphinx.« Der Minister nahm ihm die Brochüre aus der Hand, aber indem er demonstriren wollte, zerdrückte er sie in der Heftigkeit seiner Gestikulation. »Als ich sie vorgestern in die Hand bekam, war ich entzückt. Der Anfang superbe. Das Vorwort ist von Ihnen, das kann ein Geschäftsmann nicht. So wollte ich die Verordnung vors Publikum gebracht, so eingeleitet. Selbst die Perrücken, durch die ich mich schlagen muß, würden einigen Respekt vor dieser Überzeugungskraft, vor dieser Gesinnung in blühender Sprache, die zum Herzen dringt, gewinnen. Das kommt von Ihnen? Nicht?« »Wenn nicht ein unsichtbarer Geist es mir eingab, der sein Eigenthum reklamirt.« – »Machen Sie Ihre Sache nicht schlechter, als sie ist, junger Mann. Gestehen sie offen Ihren Fehltritt ein. Von da ab hat der Teufel der Eitelkeit Sie geplagt – Wort für Wort abgeschrieben.« – »Von wem?« – »Ich will's noch glauben, daß Sie das Original selbst nicht kannten.« Der Minister war mit einem stummen Wink daß der Andere ihm folge, in sein Arbeitszimmer getreten. Vom Schreibtisch nahm er ein sauber mundirtes Promemoria und reichte es Walter: »Lesen Sie, die Ausarbeitung des Herrn von Fuchsius, welche dieser geschickte Arbeiter auf die von mir ihm angegebenen Ideen entwarf, ganz zu meiner Zufriedenheit, ganz in meine Ideen eingehend.« Walter las, blätterte, überflog mit steigender Verwunderung. Das Thema dasselbe, die Einleitung die formelle eines Geschäftsmannes, die Eintheilungen fast die nämlichen mit seiner Schrift, dann eine Ausführung – es war fast Wort für Wort die seine – nur der rhetorische Schluß ein anderer im Aktenstyl.
Er ließ das Papier sinken. Ein Lichtstrahl zuckte durch das Zimmer und auch in seine Seele: »So ist der Streit nur um die Priorität!« – »Der Streit ist entschieden,« fiel der Minister scharf ein, »Meine Gedanken über die Regeneration des Bauernstandes sind älter als – was geht das Sie an. Fuchsius theilte ich sie Ende des vorigen Jahres mit, wir hatten darüber Gespräche, seit sechs Monaten ist er mit der Ausarbeitung des Promemoria beschäftigt, stückweise kannte ich die Arbeit schon früher, in ihrer vollendeten Gestalt legte er sie mir vor drei Monaten vor. Ihre Brochüre trägt die Jahreszahl 1806 an der Stirn. Die Sache ist damit zu Ende.«
Walter verbeugte sich und ging. Der Minister schien es nicht erwartet zu haben: »Sie haben mir nichts mehr zu sagen?« wandte er sich noch einmal um.
»Seit Sie mir zu sprechen verboten haben. Ich würde sonst, was Excellenz vielleicht entgangen, bemerklich gemacht haben, daß es Buchhändlerart ist, auf Druckschriften, die am Ende eines Jahres erscheinen, die Jahreszahl des folgenden zu setzen; daß ferner unter meinem Vorwort das Datum steht, an dem ich die Schrift vollendet, und das war schon in der Mitte vorigen Jahres, also ehe Euer Excellenz Herrn von Fuchsius die Aufgabe stellten; ferner, wenn es in einer so unwichtigen Angelegenheit darauf ankäme, könnte ich durch den Buchdrucker mein Manuskript, durch das Zeugniß von Freunden darlegen, wie ich die betreffenden Stellen bereits Anfang vorigen Jahres niedergeschrieben hatte. Ich könnte auch bemerken, daß aus einer gedruckten Schrift, welche beinahe ein
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