Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Jahr cirkulirt, sich leichter Auszüge machen lassen, als aus einer schriftlichen, die im Bureau eines Ministers unter dem Siegel der Amtsverschwiegenheit bewahrt ist.«
»Halt! Die sämmtlichen Exemplare Ihrer Schrift sind aufgekauft und makulirt worden, ehe sie ins Publikum kamen.« – »Wer that das?« rief der Erstaunte. – – »Ihr eigener Vater. Weil er es bereute, ließ er mir das letzte Exemplar durch Herrn von Dohleneck zustellen.« – »So könnte ich schließlich darauf aufmerksam machen,« sagte Walter, »daß ich mit dem Herrn Regierungsrat in durchaus keinen Relationen stehe.« – »Kennen Sie Herrn von Fuchsius?« unterbrach ihn der Minister, der schon in der Mitte de Rede mit eigenen Gedanken beschäftigt schien. – »Man rühmt ihn als einen unserer befähigtesten jüngeren Beamten, dem eine glänzende Karriere bevorsteht.« – »Ich frage, ob Sie ihn kennen? Persönlich? Schickten Sie ihm wirklich kein Exemplar? Wissen Sie, daß er keines besessen?« – Als Walter den Mund öffnete, schoß wieder ein Lichtstrahl durch das Zimmer. Er erinnerte sich, als er bei jenem anderen Minister eine Audienz erhalten, daß Herr von Fuchsius damals aus dem Zimmer gegangen, daß dem Minister kurz zuvor ein Vortrag über die Schrift gehalten sein musste. In dem ersten Moment fuhr ein Lächeln über sein Gesicht. Er erinnerte sich, daß Fuchsius, als er durch das Vorzimmer an ihm vorüber ging, eine Druckschrift aus der Tasche sah.
»Herr Regierungsrath von Fuchsius!« meldete in dem Augenblick der Amtsbote. – »Soll warten!« sagte der Minister. »Im Bureau!« rief er dem Voten nach. Er schien mit Gedanken beschäftigt, als er, die Hände auf dem Rücken, aus dem Fenster sah. War Walter vergessen? Hatte der Staatsmann angenommen, daß er gehen müsse? Sollte er jetzt gehen? Sich räuspern? Plötzlich wandte er sich um. Er hatte ihn nicht vergessen, aus dem Pult riß er ein Konzept, und warf es hin: »Versuchen Sie sich daran. Hier auf der Stelle. Da ist Papier und Feder. – Eine Ausarbeitung – ganz nach Ihrem Sinne – an die Lineamente brauchen Sie sich nicht zu halten; da ist viel dummes Zeug darin. – Eine Stunde haben Sie Zeit. Ich habe Geschäfte, die mich wohl noch länger abhalten«
Siebenundsechzigstes Kapitel.
Blicke aus eines Ministers Fenster ins Volksleben.
Die Thür schlug hinter ihm zu. – War das eine Rechtfertigung, daß der Minister dem jungen, ihm fremden Mann das Heiligthum seines Arbeitszimmers mit den offen stehenden Schränken überließ? Walter konnte wieder lächeln, als aus einem halbgeöffneten Schubfach ein Körbchen mit Goldstücken ihm entgegenblitzte. Da lag auch ein versiegeltes Packet mit der Aufschrift: »Nach meinem Tode zu verbrennen.« Vornehme Leute haben oft eigene Vorstellungen, wie sie die von ihnen verletzte Ehre ihrer Untergebenen herstellen. Jedenfalls war es nur eine halbe Rechtfertigung; der Minister wollte ihn durch die neue Aufgabe prüfen, ob er im Stande sei, selbstständig Gedanken zu entwickeln und auszuarbeiten. Das Konzept, das ihm übergeben war, enthielt flüchtige, von des Ministers Hand hingeworfene Sätze, etwa folgender Art: Was allgemeine Stimmung, wenn kein gesetzliches Organ dafür existirt! – Jeder Minister ausschließlich in seinem Geschäftskreise – ein König oder Gliederpuppe. Fehlt jedes Element, den König aufzuklären über den wahren Status. – Geheime Kabinetsräthe. – Dahinter war ein dicker Dintenklecks. Der Schreiber hatte mit der stumpfen Feder aufgestaucht. Absolut nicht mehr möglich. Aut! – aut! – Fein anzufangen. – Dummes Zeug! So Hardenberg nach heutiger Konferenz. Blücher würd's besser verstehen. – Dahinter einige Striche, Federproben, Eselsohren!
Daraus ein Promemoria entwerfen! Allerdings das Zeichen eines großen Vertrauens. War Excellenz' Denkweise so bekannt, daß er aus Chiffren und Hieroglyphen ein System konstruiren konnte? Oder hatte er ihn absichtlich in ein Labyrinth gesetzt, um ihn auf bequeme Weise los zu werden, wenn er den Ausgang nicht fand? Feder und Papier waren zurecht gelegt, aber Gedanken sollen dem Schreiben vorausgehen. Sie im Promeniren zu sammeln, war die Stube zu klein. Und es war drückend heiß. Er lehnte sich aus dem Fenster, um Luft zu schöpfen. Die Nachmittagssonne brannte von dem wolkenlosen Horizont auf die breiten Straßen Berlins. Die geputzten Spaziergänger, die nach dem Thiergarten eilten, suchten die schmale Schattenseite. Er hörte ihre Gespräche.
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