Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Nicht Einer, der nicht dem Andern zurief: »Das ist mal heiß!« Jener machte die Bemerkung: Anno 99 wäre es doch noch heißer gewesen. – »Ja, ja. so geht's!« schlössen zwei Bekannte mit einem vielsagenden Händedruck ein Gespräch, in welchem sie sich eben nichts zu sagen gewusst. »Schlechte Zeiten!« – »Wenn nur Friede bleibt!« – »Meinen Sie? – Ja – ja – wer weiß!« – »Hab' ich's Ihnen nicht immer gesagt, es geht oder es geht nicht.« – »Ja, wenn nicht der Bonaparte wäre!« – »'Ne sappermente Wirtschaft!« – »Na, man wird ja sehen.« – »Und das Bier auch immer schlechter.« – »Saure Gurkenzeit, Herr Gevatter!« – »Die armen Komödianten!« rief eine geputzte Dame. »Nein, an solchem Tage spielen zu müssen!« – »Und Belmonte und Constance!« – »Und in Pelzen, hu, Einem schaudert!« – »Und wie leer wird es sein!« – Hinter den Geputzten schlenderte wie ein Opferthier, nicht eins, das erst gebraten werden sollte, sondern das gebraten war vom Sonnenbrand, ein junger Bursch im Sonntagsrock. Der Mund offen, die blaßblauen Augen unter den glatt herabhangenden Stirnhaaren der Ausdruck eines Minimum von Seele. Plötzlich aber belebten sie sich von Pfiffigkeit; halb pustete, halb pfiff er, und war seitwärts gesprungen nach dem Straßenbrunnen. Rasch klirrte die Pumpe, und seine Lippen schlürften aus Herzenslust an dem dick vorsprudelnden Wasserstrahl. Warum musste er es so laut machen, daß die Schwestern sich umsahen: »Aber Karl, Potz Wetter, wie unanständig!« – »Nein Mutter, sieh! der Karl! der Junge hält doch nie auf Reputation. Als ob er von 'ner Schusterfamilie wäre! Wie ein lebendiger Straßenjunge!« – »Warte nur, wenn der Vater!« – »Du kriegst ja draußen Weißbier, Karl,« rief die Mutter. »Wenn nur die wirklichen lebendigen Straßenjungen es nicht gehört hätten.« Es schnalzte und grinste: »Straßenjungen! Wer sind denn Eure Straßenjungen!« – »Und wer sind sie denn! Aus der Fischerstraße!« – »Wenn man sie nicht kennte! Die näht Pantoffeln. Selbst Schuster!« – »Und die Andre – Schneidermamsell bei den Komödianten.« – »Dicke thun hilft nichts.« – Hätten die geputzten Damen nur geschwiegen! Aber sie schwiegen nicht. Sie mussten ihre Ehre vertheidigen. Die Straßenjungen ließen sich in Berlin nicht überschreien. Die korpulente Mutter ermahnte ihre Töchter, sich mit dem »Kropzeug« nicht abzugeben. »Selbst Kropzeug!« war das Echo. Das war natürlich nicht zu ertragen. Die Frau rief aus Leibeskräften nach ihrem Manne: ob er das dulden wolle, seine Frau Kropzeug genannt! Der Mann schien schon vorausgeschickt, das jüngste Kind auf dem Arm, damit die Ehre der geputzten Familie nicht kompromittirt werde. Sein blauer Überrock mit dem hochstehenden Kragen, in den der Kopf beinahe versank, die groben Kniestiefel und das weit aus ihnen hervorblickende Pfeifenrohr passten allerdings nicht zur Eleganz des weiblichen Theils der Familie, und man durfte annehmen, daß er sich bei Hofjägers an einen aparten Tisch setzen müsse. Aber in der Noth hört solche Distinktion auf. Während der Mann zurückkeuchte, so hastig, daß der Pfeife die Spitze abbrach, und er jetzt vollkommen Grund hatte zum Zorn, hatte der Auftritt schon eine andere Physiognomie angenommen. Fritz war von den Schwestern animirt worden. Daß einer der Straßenjungen sich dicht vor sie gestellt und die Zunge »geblökt«, durfte er doch nicht dulden. Der Thäter lag auf dem Boden, und Fritz auf ihm, es war indeß zweifelhaft, ob er nicht bald unter ihm liegen würde. Da war es eben so natürlich, daß der Vater mit dem zerbrochenen Pfeifenrohr darunter sprang. Es war auch nicht mehr Geschrei, kaum mehr das, was man in Berlin ein Aufgebot nannte, es war das nächste daran. Vorübergehende standen schon, wie es sich schickt, entweder still oder nahmen Theil, als ein Einspänner um die Ecke bog und den Knäuel in etwas trennte.
Es waren anständige Leute auf dem Wagen, der Herr Hoflackirer und seine Frau mit ihrer Cousine Charlotte, deren Vaternamen uns noch immer ein Geheimniß blieb. Anständige Leute stoßen Achtung ein, besonders, wenn sie Wagen und Pferde haben. Anständig will Jeder sein. Der Herr Hoflackirer hatte aber seinen Rock geknöpft und trug seinen Hut wie ein vornehmer Mann, auch kutschirte er selbst, und das Gestränge glänzte, wenn auch nicht von Silber, doch von etwas, was wie Silber aussah. Hätte er nun die Peitsche knallen lassen, und
Weitere Kostenlose Bücher