Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Rede wieder seiner Herr geworden: »Weil mir ein Sperling auf der Hand lieber ist als eine Taube auf dem Dache. Weil mein Fuß zu dick ist, um ihn in Diplomaten schuhe zu stecken. Weil ich auf glattem Boden nicht gehen kann, und weil ich in der Schule gelernt habe, daß, wer besticht, eben so ein Schurke ist, als wer Bestechung nimmt. – Hier ist Ihr erster Wechsel.« Das Bleistift, welches die Brieftasche verschlossen, zwischen den Zähnen haltend, zog der Kaufmann den Papierstreifen heraus.
»In acht Tagen stehe ich zu Dienst,« entgegnete Wandel mit einem Versuch zu lächeln. »Pressirt es so, Herr van Asten?« – »Mich nicht. Glaubte vielleicht, daß es Sie pressiren würde, den Wechsel einzulösen.« – »Zeigen Sie. Sollt' ich mich im Datum geirrt haben!«
Der Kaufmann hielt den Wechsel seitwärts in die Höhe. Sein Bein und Stock blieben die Barriere. »Sie haben ja wohl gute Augen. – Sehen Sie? – Sie sehen vielleicht nicht Alles. Ich auch nicht. – Die Schrift ist blaß. Herr Legationsrath, seit acht Tagen wird sie jeden Tag blässer, und in acht Tagen hätte ich einen weißen Papierstreifen in der Tasche. Ist das nicht kurios?«
Wandel hielt die Hand vors Gesicht, um besser zu sehen. Plötzlich drehte er sich auf dem Hacken um, und sank auf den Stuhl zurück mit einem lauten Auflachen. Van Asten verlor keine seiner Bewegungen aus dem Auge. – »Das ist kurios.« – »Nur kurios, Herr Legationsrath?« – »Waren Sie besorgt, daß ich den Wechsel um deswillen nicht honoriren würde?« – »Besorgt eigentlich nicht, Herr Legationsrath, ich ließ nur, als ich's merkte, vom Notar eine vidimirte Abschrift nehmen, und den kuriosen Fall
ad protocollum
vermerken.« – »Die Geschichte wird immer hübscher. Ich hatte damals eine sympathetische Dinte präparirt, und tauchte wahrscheinlich aus Versehen die Feder beim Ausfüllen des Wechsels hinein. Wollen Sie gefälligst hergeben, der Schade ist im Moment reparirt.« Er stellte eines der Kohlenbecken vom Herde auf den Fenstersims. »Wie Sie wollen,« lächelte der vornehme Mann, als van Asten das Papier hinter seinen Rücken hielt. »Probiren Sie selbst, eine Sekunde leise über den Kohlendampf und die natürliche Schwärze ist wieder hergestellt.« Der Kaufmann besann sich einen Moment. Er schien seine Position nicht verändern zu wollen, bei der Operation am Fenster hätte er dem Rath den Rücken wenden müssen. Er überreichte ihm den Wechsel, von dem er ja eine vidimirte Kopie besaß, strengte aber jetzt seine Augen noch mehr an, jede Bewegung des Andern zu verfolgen. Wandel fuhr nur leicht ein paar Mal über das Kohlenbecken und reichte den Wechsel, ohne ihn selbst anzusehen, zurück: »Prüfen Sie jetzt selbst.«
Die Schrift stand wieder schwarz da, aber das Papier schien sehr mürbe geworden. »Soll ich Ihnen vielleicht einen neuen Wechsel schreiben? – Sie scheinen etwas ängstlich. – Ich vergebe Ihnen, ein Kaufmann soll vorsichtig sein. Mit dem größten Vergnügen.« Er schob aus dem Winkel einen kleinen Tisch mit Schreibzeug hervor, bestimmt, um seine Notate bei den chemischen Experimenten zu machen, und – schrieb.
Van Asten hatte zu dem Anerbieten weder ja gesagt, noch nein. Er benutzte den freien Moment, sich umzuschauen. Es war ein stiller Sonntag Nachmittag, das ganze Haus schien ins Freie ausgeflogen, er war auf der Treppe Niemand begegnet. Im Hofe knarrte nicht der Brunnen, keine Stimme; man hörte nur das Zwitschern der Sperlinge, in der Küche das Picken des Holzwurms in dem alten Gebälk. Van Asten war auch ein muthiger Mann, aber ihm war eigen zu Muthe, wenn sein Blick auf das Gerippe fiel, auf die eisernen Geräthschaften, die eben so viel Waffen werden konnten. Waren nicht auch vielleicht auf dem Herde, in den Tiegeln und Destillirkolben geheime Waffen! Wenn der Koch mit dem Löffel daraus auf ihn spritzte, mochte nicht eine Essenz darin enthalten sein, die ihn betäubte, ihn selbst im Augenblick blaß machte wie die Schrift auf dem Wechsel?
Waren nicht die Blicke, die der Schreibende seitwärts dann und wann auf ihn gleiten ließ, auch Waffen! Der Kaufmann stand hinter seinem Schemel, den darauf gestemmten Stock noch fester in die Hände pressend.
An einer schwarzen Tafel standen mit Kreide arithmetische Figuren, darunter Berechnungen, die des Kaufmanns Aufmerksamkeit anzogen, große Zahlen addirt. An der einen Ecke:
80,000 + 15,000 – 40 Jahr p.p. + + + zu viel.
Summa: 95,000 – 40 Jahr p.p. + + + zu
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