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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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wenn alle Nebel, Dämmerscheine, chromatische Täuschungen, Vorurtheile gesunken, wenn sie wissen, ihre Kreise und sich selbst zu beherrschen, wenn sie sich das Zeugniß ablegen können, daß sie durch nichts sich beirren lassen, keine Missgriffe thun, rein und grad auf ihren Zweck hinsteuern, – dann – das muß ein Göttergefühl eigener Art sein.« Die Geheimräthin senkte in ihrer Sophaecke den Kopf: »Wer kann das von sich sagen!« – »Ich kenne eine Frau, die das kann!« Er sah vor sich auf die Diele. Es war etwas Eigenes heut im Benehmen des Legationsrathes. So weich sein Ton, so sanft vorhin sein Händedruck, so geschmeidig, fast herzlich sein ganzes Benehmen; aber er sah sie nicht an, er streckte nicht die Hand aus, um sie auf ihren Arm zu legen, er saß isolirt wie ein Träumer, und nur durch das Medium der Töne waren sie in Berührung. – »Die Klügste kann sich darin täuschen!«
    Er schien es nicht gehört zu haben. Er legte den Arm auf die Lehne und seine Finger hämmerten gedankenlos auf das polirte Ebenholz, während seine Augen jetzt an der Decke hafteten.
    »Mögen Sie sich immerhin momentan isolirt fühlen, was ist das gegen das beruhigende Gefühl, wie ein Gott in Ihren Kreisen gewaltet zu haben. Sind nicht, seit Sie mit sich klar wurden, Ihre Wünsche in Erfüllung gegangen; ich meine, ist nicht Alles geschehen, was Sie für gut, für nothwendig erachteten? Jenes undankbare Mädchen, das wirklich Ihr Lebensglück störte, musste sie verlassen, ohne daß Sie der geringste Vorwurf trifft. Man entführte sie Ihnen, die Menschen bedauern sie sogar wegen der hinterlistigen Art, wie es geschah, ohne zu ahnen, welche Wohlthat Ihnen damit widerfuhr Damit wurden Sie zugleich die lästigen Gesellschaften los, die sie hinderten, ganz sich selbst zu leben. Wie oft fand ich meine Freundin in Sorgen um das Schicksal des kränklichen Bedienten. Was stand dem armen Geschöpf bevor, sobald Sie sich seiner nicht mehr annehmen kannten? Bettelstab, Hospital! Da hat Gott seiner sich erbarmt, ihn zu sich genommen. Gott nimmt sich aber nur da der Menschen an, wo er ihren ernsten Willen, ihre angestrengte Thätigkeit sieht, sich selbst zu helfen. – Wie belohnten jene unartigen Kinder Ihre mehr als mütterliche Aufmerksamkeit! Ich darf Ihnen wohl sagen, man verdachte es Ihnen, daß Sie sich selbst diesen verwahrlosten Geschöpfen opferten. Man hielt es für eine Art Ostentation, man meinte, Sie wären auf die Sprünge der Fürstin Gargazin gekommen. Das sind die Urtheile der Menschen! Kann ein Vernünftiger noch davor Respekt haben! Sie lernten nur zu bald, daß für diese Unglückseligen nichts Besseres sei, als – wenn auch ihrer eine unsichtbare Hand sich erbarme. Diese so früh verdorbenen Kinder wären ja unter der Aufsicht des nichtigen, läppischen Vaters, unter der Erziehung dieser Köchin in Grund und Boden verworfene Geschöpfe geworden. Und am Ende hätte Sie noch ein Vorwurf getroffen. Aber das Unkraut konnten Sie nicht mehr ausziehen, Sie nicht mehr Weizen säen. Verzeihung, daß ich so offen es ausspreche, auf die Gefahr hin, Sie zu beleidigen, die Kinder mussten sterben.«
    »Mussten –« wiederholte mehr fragend als trumpfend die Geheimräthin. »Ja, theuerste Frau,« sagte er mit Nachdruck. »Ich habe es mir oft überlegt. Hätten Sie einen Vortheil davon gehabt, daß sie starben, wäre eine Erbschaft im Spiel gewesen, dann war es anders. Was jetzt die Leute sagen, darauf kommt es nicht an.«
    Sie schielte innerlich bebend zu ihm hinüber, wagte aber die Frage: »was sagen denn die Leute?« nicht über die Lippe zu bringen. »Die Geschichte der Medea halte ich für eine unglücklich erfundene Fabel,« fuhr er in derselben Ruhe fort. »Eine Mutter ihre Kinder schlachten, um ihren Geliebten zu retten! Das wäre eine Verirrung der Natur. – Ja, wer über diese Empfindungen hinaus ist; ich könnte mir eine Medea denken, ohne die brennende Gluth des Südens, eine, deren Blut eiskalt geworden, eine Seherin des Nordens, die abgerissen, abgeschüttelt hat alle die Fibern und Blutadern, die sie mit den Lebendigen zusammenhalten, eine Norne, welche im ehernen Becher die Loose der Menschen schüttelt; wer fallen muß, der fällt, sie kann nicht weinen, sie kann nicht lächeln, es muß. – Sind wir nicht Alle auf diesen Prozeß angewiesen, ist es nicht der natürliche des Daseins? Das Blut wird mit den Jahren kälter, was uns in der Jugend entzückte, gleichgültig. Unsere Träume, Phantasieen, Projekte

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