Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
seinen Geschöpfen aufgedrückt hat, ist die beste Antwort. Sie brauchen sich nicht im Spiegel zu sehen. Sehen Sie nur die Miene der Leute, denen Sie begegnen. Die schöne Adelheid Alltag ist überall willkommen.« – »Und doch verdankte ich neulich nur der Huld einer höheren Zauberin, daß ich dem Spotte und der Kränkung entging.« – »O das waren Unarten. Neidische und böse Menschen können den Frieden der Glücklichen nicht verkümmern. Dieser Friede ist ein Gut, was tiefer liegt. Ihre hässlichen Hände reichen da nicht hin.« – »Gnädigste Königin, ich preise allerdings mein Glück, weil ich früh einen Lehrer fand, der mich auf das Wahre hinwies.« – »Ich kenne Ihren Vater; er ist ein trefflicher Mann und treuer Staatsdiener, der nichts Höheres kennt, als die Erfüllung seiner Pflichten.« – »Mein Lehrer lehrte mich,« fuhr Adelheid rasch fort, »daß Leiden unsere besten Erzieher sind. Aus der Schule großen Unglücks entwickelt sich die Seele zur Freiheit und Selbstständigkeit.« – »Haben Sie auch diese Schule durchgemacht! – Doch das ist ja nun vorüber.« – »Wer kann sagen, daß er aus der Schule entlassen ist, so lange er lebt! Und wer sieht unter dem fröhlichen Gesicht die Schmerzen in der Brust!« Das war ein Ton, welcher anschlug, er vibrirte durch die Seele der Königin: »Und wer sieht heute, was morgen kommt!«
Ein Seufzer machte sich aus ihrer Brust Luft. Da flog, von einem leisen Luftzug getragen, einer jener weißen flockigen Herbstfäden, wo die Allee sich bog, von der Wiese ihnen entgegen und legte sich um Beider Brust, indem er, von ihrer Bewegung festgehalten, sie umschlang. Beide waren durch ein Spiel der Natur an einander gefesselt. Adelheid hob den Arm, um den Faden vom Hals der Fürstin los zu machen, aber – es war die Wirkung und die That des Momentes, jene Einwirkung unsichtbarer Geister, die wir umsonst erklären, und, wenn erklärt, so wäre es nichts – die Thränen stürzten aus den Augen der Königin und sie drückte Adelheid an ihre Brust. Niemand sah es, es war weite sonntägliche Einsamkeit im Park. Die Sonne, obgleich sie Alles sieht, ist eine schweigende Zeugin, die Käfer schwirrten, die Frösche ächzten ihr monotones Lied in den feuchten Wiesen; vom Kirchthurm läuteten die gedämpften Glocken zum Begräbniß einer alten Frau. Die Lippen der Fürstin berührten Adelheids Wangen: »Ach, liebes Mädchen, wer weiß, was morgen kommt!« Es war da in dem Augenblick mehr zwischen ihnen vorgegangen, als Worte aussprechen. Die Königin sprach: » Sie schickte mir der allgütige Vater im Himmel zu einer Stunde, wo ich Trost bedurfte. Was man so gefunden, lässt man so leicht nicht wieder von sich.«
Die Emotionen haben ihr ewiges, unverjährbares Recht, unter den goldenen Decken der Schlösser wie unter den Schilfdächern der Hütten; aber hier dürfen sie austoben bis zur Erschöpfung, dort ist ihnen ein Maß gesteckt. Luise war wieder die Königin geworden, als sie weiter gingen, aber von einer Huld, welche die Majestät überstrahlte. Sie zeigte nach dem Pavillon mit chinesischem Dach, auf einer kleinen Höhe vor ihnen: »Dort wollen wir einen Augenblick ausruhen.« Ihr Gespräch, bis sie den Punkt erreicht, war lebhaft, aber es floß ruhig hin. Adelheids Aeußerungen mussten die ganze Aufmerksamkeit der Fürstin erregt haben. Sie hatte sie oft forschend angeblickt. Als sie auf der ländlichen, von Blüthenästen geflochtenen Bank Platz genommen, sagte Luise: »Sie sind noch so jung, und schon solche Erfahrungen!«
Adelheid erröthete.
»Sie kamen, wie Sie mir sagten, nie aus der Residenz, Sie lebten nur in guten Häusern, unter respektabeln Familien, und zuweilen blitzt es aus Ihren Reden, als wüssten oder ahnten Sie die Verworfenheit der schlechten Menschen. Ich glaubte, das wäre uns nur aufgespart, die wir von oben so Vieles sehen, was Ihnen unten verborgen bleibt. Wie die Motten nach dem Licht, so flattern uns Die zu, welche für ihre ungeordneten Begierden unten keinen Platz fänden. Wir müssen sie dulden, weil – ach, aus vielen Gründen! während die stillen, sittlichen, bürgerlichen Kreise ihnen die Thür verschließen dürfen. Man thut daher sehr Unrecht, uns zu beneiden, liebe Mamsell. Wir, die wir andern Pflichten zu gehorchen haben, könnten die Niederen beneiden, welche diese Rücksichten nicht kennen. Sie dürfen nach ihrem Penchant leben und ihre Freunde sich unter den Rechtschaffenen und Guten nach ihrem Gefallen aussuchen.«
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