Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
glücklich ging, bedauerte man sie nur, wenn ein Gatte dem andern in jene Welt vorausgehen sollte. Der Mann starb zuerst. Es hieß, er hätte sich zu wenig Bewegung gemacht, der viele Staub seiner Bibliothek, den er eingeschluckt, hätte sich auf seine Lunge geworfen.«
»Die arme hinterbliebene Frau!« sagte die Eitelbach.
»Frau Geheimräthin haben vergeben,« rief ein Spieler am Tisch. »Excus! es flimmerte mir etwas vor den Augen.«
»Sie ward auch allgemein bedauert,« fuhr Fuchsius fort, »ertrug aber ihr Schicksal mit wunderbarer Fassung. Sie lebte nur dem Gedächtniß ihres Mannes und führte mit großen Opfern Alles aus, was er angeordnet. Man betrachtete sie als eine Art Heilige. Da fügte es der Zufall, daß durch einen Gewitterregen der an einem Abhange gelegene Kirchhof von aller Erde losgespült und durch die Gewalt des Wassers mehrere Särge den Abhang hinuntergestürzt wurden. Darunter war auch der, worin der selige Friedensrichter lag. Er zerbrach, und mit Erstaunen sah man die wohl konservirte Leiche, als wenn er noch lebte. Von einer besondern Luft konnte es nicht herrühren, denn die andern Leichen waren zerstört. Man fand aber bald die untrüglichen Merkmale einer Arsenikvergiftung. Werden Sie es glauben, wenn ich Ihnen sage, daß es sich ermittelt hat, die eigene Frau hat ihn umgebracht.« Einem unterdrückten Schrei folgte eine lange Stille: »Aber wie ist denn das gekommen? Warum denn? Sie hat ihn ja so geliebt!« rief die Baronin. Fuchsius, der mit übergebeugtem Leibe auf dem Stuhle saß, wie wohl Erzähler thun, die für eine lange Erzählung den gesammelten Stoff wie einen Faden aus sich herausspinnen, und dabei nicht rechts und links blicken, Fuchsius sah dabei unverwandt vor sich auf den Spiegel. »Gott sei Dank, das ist nicht möglich!« rief die Eitelbach. »Aber ungleich interessanter,« fuhr der Rath fort, »und vollständig ermittelt ist, wie sie ihren Mann umgebracht hat. Können Sie sich das denken, sie puderte ihn, in dem Puderstaub aber war Arsenik.«
Am Spieltisch war eine Störung. Der Geheimräthin waren die Karten aus der Hand gefallen; sie sah blaß aus, ihr Kopf senkte sich. Das hatten aber die Wenigsten gesehen. Im selben Moment schon war der Legationsrath aufgesprungen: »Eine Maus!« Er zog das Taschentuch; damit fuhr er und schlug er an der Wand entlang, nach dem Boden. »Eine Maus, eine Maus!« – Vergebens schrie Madame Braunbiegler auf: »Wir haben keine Mäuse!« Es hatten noch Andre die Maus gesehen, denn worauf hätte sonst der Legationsrath sich so lebhaft geworfen! Wie auch die Wirthin dagegen protestirte, in ihrem Hause seien nie welche gewesen, noch sollten sie sich je zeigen, sie kam in dem allgemeinen Allarm nicht auf, besonders als auch der Regierungsrath, an ihr vorüberstreifend, ihr zuflüsterte: »Sie müssen sich schon zufrieden geben, es war eine Maus, Madame Braunbiegler.« An der Thür sagte er halb für sich: »Eine Falle wird ja auch im Hause sein.« Die Baronin meinte, er gehe eine zu holen, als er sich unbemerkt im allgemeinen Aufstand entfernte.
Es war ein verdrießlicher Aufstand, am verdrießlichsten für die Geheimräthin Lupinus, welche die Ursache gewesen, denn sie konnte nun einmal keine Mäuse sehen, ohne einer Ohnmacht nahe zu kommen. Aber wie schnell hatte sie auch jetzt sich erholt, sie war die erste, welche ihre Karten wieder in der Hand hielt: »Warum mussten Sie mich verrathen!« schmollte sie mit einem eignen Blick zum Legationsrath. »Das Thier raschelte so ganz unerwartet zwischen Decke und Wand hervor. Was that das! Die Gesellschaft wäre doch in ihrer Assiette geblieben.«
Die Gesellschaft war wieder in ihrer Assiette, aber die Maus noch nicht fort. Man erzählte von andern bekannten Personen, die auch eine Idiosynkrasie vor Mäusen hätten. Auch Herr von St. Real ward erwähnt. Er spränge trotz seines Krückenstockes, wenn er eine wittere, auf Stuhl und Tisch. »Sprang!« rief eine Stimme vom Spieltisch: »Ach, wissen Sie noch nicht, er ist todt, plötzlich am Schlagfluß gestorben.« – Ein allgemeines Bedauern, das sich in ein allgemeines wohlgefälliges Lächeln auflöste. Nicht der Kammerherr, sondern sein Onkel, der reiche Johannitercomthur Graf St. Real, war gestorben und sein Neffe Erbe seines Vermögens und seiner Titel geworden. Der Tribut allgemeiner Theilnahme ward dem unsichtbaren Erben gezollt.
»Ach, ein so liebenswürdiger Herr, dem gönne ich's,« sagte die Wirthin. »Charmanter Kavalier,«
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