Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
erhob sich etwas vom Stuhl: »Warum musste mein guter Schwager über Etwas an die große Glocke schlagen, was ganz unter uns abgethan werden sollte! Da es aber einmal ist, so bin ich meinen verehrten Freunden und Freundinnen Rechenschaft schuldig. Ich bin nicht so reich, um eine solche Summe zu diesem einen Zwecke beizusteuern. Ich erfülle darin nur den Wunsch und Willen meines seligen Gemahls. So wenig er sich im Frieden seiner Seele um Weltangelegenheiten kümmerte, sah er doch mit bangem Blick schwarze Gewitterwolken nahen, und es waren seine letzten Unterhaltungen mit mir, daß für diesen Fall ein guter Patriot, was er könne, zum Wohl des Ganzen beisteuern müsse. Namentlich ging ihm die Lage unserer armen Soldaten zu Herzen; er, den jedes kalte Lüftchen wie ein Eishauch berührte, erschrak vor dem Gedanken der Winterfeldzüge, die er für eine Barbarei der neueren Kriegskunst erklärte. Er malte sich in seinen letzten Fieberphantasien besonders lebhaft das Bild des Bivouaks, und rief mehr als einmal aus: ›Und sie haben nicht mal warme Kleider!‹ Wenn ein unerforschlicher Rathschluß ihn nicht plötzlich abgerufen, würde er in seinem Testament gewiß Legate dafür ausgesetzt haben. Wollen Sie es mir daher nicht verargen, wenn ich dies Testament für geschrieben halte, und in seinem Sinne zu handeln denke, indem ich thue, wie ich gethan. Nicht ich thue es, mir darf Niemand danken, mir Niemand Verschwendung vorwerfen, es ist sein Geist, der mich in diesem Augenblick umschwebt.«
Während die Geheimräthin es sprach, waren Aller Blicke auf sie gerichtet. Es war eine Feierlichkeit in ihrem Wesen, ein sonorer Ton in der Sprache, der selbst der Braunbiegler imponirte. Mit ganz besonderen Blicken beobachteten sie aber zwei der Anwesenden, Wandel und Herr von Fuchsius; jenes Gesicht erheiterte sich, dieser behielt denselben Ausdruck. »Nun aber, lieber Schwager,« ging die Lupinus plötzlich in einen andern Ton über, »thun Sie uns den Gefallen und gehn zu Andern, denn Ihre Flanellbinden dürfen unsere Heiterkeit nicht stören. Was Sie mir gethan, ist vergeben und vergessen. Sie sehen, wir haben die Karten in der Hand, und brennen zu spielen.« Die Liebenswürdigkeit selbst! – Nein, eine Vornehmheit doch, und diese Sanftmuth dazu! – Wenn es nicht gesagt, wurde es gedacht. Wie herzlich, zutrauend, um es wieder gut zu machen, hatte sie dem Schwager, der so tief unter ihr stand, die Hand gereicht zum Abschied. Lupinus hatte die Hand an die Lippen gedrückt – etwas schauspielerhaft, sagten Einige. Wie ein Polisson – Andere. – »Er ist doch immer der Bruder meines seligen Mannes, der einzig Hinterbliebene der Familie!« hatte sie geseufzt. »Und was man auch immer gegen ihn sagen mag, von Herzen ist er gut.«
Man erwähnte, daß die Königin sich günstig über den Eifer des Geheimraths in dieser Angelegenheit geäußert. Es sei schön, wenn ein alter Sünder durch gute Thaten seine schlimmen wieder gut zu machen suche.
»Wenn's nur von ihm käme!« sprach die Braunbiegler. »Da habe ich auch nichts gegen. Er ist ja ein Mann in Amt und Brod, und der König wird wissen, warum er sich solche Geheimräthe gemacht hat. Aber alle Welt weiß auch, er ist nichts im Hause. Da steckt die Charlotte hinter, seine Köchin. Ich weiß nur gar nicht, wie die Familie den Skandal zulassen kann. Wenn das in meiner wäre, ich würde mich ja schämen –«
»Madame Braunbiegler haben anzusagen.« sprach mit großer Milde die Lupinus. – »Mein Seliger.« setzte sie hinzu, »musste doch wissen, warum er mit seiner unendlichen Güte den Schwachheiten seines Bruders nachsah. Ich bin nur seine Erbin. Sein Wille ist meiner.«
Das Spiel ging gut. Die Braunbiegler gewann. Das kühlt den Unmuth. Aber hinter dem Spieltisch ward das Gespräch etwas laut. Verschiedene Personen saßen an dem großen Trumeau, der die Spielgesellschaft in seinem Glase auffing.
»Sie sind ja so munter, liebe Eitelbach?« fragte die Lupinus hinüber. – »Der Regierungsrath erzählt uns allerliebste Kriminalgeschichten.« Fuchsius hatte einen dankbaren Hörerkreis. »Das ist noch gar nichts,« sagte er. »Dann wird Sie eine andere Geschichte, die ich in einer englischen Zeitung las, noch mehr interessiren. Auf dem Lande lebte ein Gutsbesitzer oder Friedensrichter mit seiner Frau, wahre Muster in Sittlichkeit und Wohlthun. Man stellte die beiden Leute wirklich als Exempel auf. Sie waren schon in vorgerückten Jahren und ohne Kinder und, da ihnen Alles
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