Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
und Staat untergraben, wo jeder dürftige Verstand sich anmaßt, selbst Alles von vorn an zu prüfen, bis in den Grund der Dinge hinein! Täuschen wir uns auch darüber nicht, daß die Könige von Preußen noch die Macht hätten, wenn sie wollten, das Unkraut auszujäten. Wir sahen ja, wie der Versuch unter dem vorigen Monarchen mißlang. Es hat sich so eingefressen in den fruchtbaren Boden, daß es den Weizen nicht mehr aufkommen lässt; ja, man wird noch oft Versuche machen, aber ich besorge, immer vergebens. Was hat selbst in Oesterreich das kurze Beispiel Josephs geschadet; nun bedenken Sie, was und wie tief eine sechsundvierzigjährige Regierung, und eines Friedrich, das Blut des Volkes vergiften musste! Voran dem Reigen ging, um das Maß voll zu machen, sogar eine philosophische Königin! Es ist in der Nation zur Tradition geworden, daß die Macht ihres Staates auf der sogenannten Intelligenz beruht, und sie hat, meines Dafürhaltens, darin nicht so ganz Unrecht. Darum, Prinzessin, darf dieser Staat keine Macht bleiben, oder wird der Funke zu einem Brande für alle Staaten. Und welche Verpflichtungen haben denn die alten Mächtigen, in ihrer Mitte einen Emporkömmling zu dulden, der auf seine Bildung sich geckenhaft brüstet, und sich zuweilen die Miene giebt, sie zu verachten; stand er nicht jetzt eben noch, es war unerhört, wie der Minos da, und maßte sich an, zwischen den Kombattanten über Europa's Schicksal zu richten?«
Die Gargazin war ihm mit gespannter, dann, wie es schien, gesättigter Aufmerksamkeit gefolgt: »Herr von Laforest überraschen mich. Wer hätte das vermuthet. Auch Ihr Kaiser will, als ein neuer Sankt Georg, den Drachen des Unglaubens zertreten! Seit wann ging diese remarquable Veränderung in Sr. Majestät vor?«
»Können Sie mit Spott das Einmaleins umändern, oder einen mathematischen Lehrsatz umstoßen? Der Satz heißt in diesem Falle: er folgt den Maximen, die er zu seiner Selbsterhaltung für nothwendig hält. Seine Pläne gehen tiefer, als Sie glauben. Von wo entspringt alles das Unheil, an dem die Völker leiden? Aus den Beispielen, die wir unvorsichtig aus dem Alterthum holten, aus der unverständigen Anwendung der Begriffe, die damals galten, auf die Verhältnisse von heut. Schon lange geht er mit dem Projekt um, das Studium der Klassiker von den Schulen zu verbannen. Das, was uns nützlich ist, soll daraus übersetzt werden, eine Uebersetzung unter dem Stempel der Autorität; mit dem anderen klassischen Kram fort als Zeitvertreib oder Gift. Stimmte dies nicht mit den Ansichten meiner erlauchten Frau? Ihre Kirche giebt aus der Bibel dem Volke nur, was sie für gut hält. Napoleon will dasselbe, das Heidenthum will er verbannen. Mich dünkt, da gehen wir noch Hand in Hand. Er hat die Pariser Universität zum Instrumente seiner Macht umgeschaffen. Sind wir da nicht auch einig? Er will nicht, daß, wie in Deutschland, so viel Lehrstühle sind, so viel Irrlehren der Jugend gepredigt werden. Der Staat soll eine Lehre prüfen, als gut und richtig approbiren, und diese soll dann in allen Schulen vorgetragen werden. Stimmen wir darin nicht? Er hasst die Ideologie, weil sie den Menschen vom Praktischen und Nothwendigen entfernt, weil sie ewig an der Autorität rüttelt, Stolz, Ueberhebung, Schwärmer hervorruft. Will Ihre Kirche die? darf der Staat des großen Czaren sie dulden? Deutschland ging daran unter. Preußen schmeichelt ihnen, weil die ganze Nation aus Ideologen besteht. Darum nennt mein Kaiser sie die Jakobiner des Nordens. Mich dünkt, eins der treffendsten Worte, die aus seinem Kopf entsprangen.«
»Und was ist der langen Rede kurzer Sinn?« – »Das nur andeuten wollen, wäre Vermessenheit, wo die Weisheit eines Alexander selbst das Beste treffen und – Fürstin Gargazin das, was einschlägt, ihm anrathen wird.« – »Was aber würden Sie an meiner Statt meinem Kaiser rathen? Versetzen Sie sich einmal in meine Stelle.« – »Fürs Erste würde ich diese Don Quixoten anlaufen lassen, wie sie's verdienen. Wer den heißen Brei angerichtet, kann ihn aufessen. Ihnen ihren Willen gelassen! – Sie lächeln, das wäre gut französisch gerathen, und so arglistig dumm, daß es eigentlich eine Beleidigung sei, einer Fürstin Gargazin es ins Gesicht zu sagen. – Erlauben Sie mir die Bemerkung, es ist nicht so ganz dumm. Buxhövden hat in Riga den Befehl, zu rüsten. Vergönnen Sie mir auch, zu bemerken, der Befehl ist etwas spät an ihn ergangen, viel zu spät. Ich tadle
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