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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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steilen Wände klimmen ließen, ohne den Versuch nur, Sie daran zu hindern. Die mit Mann und Roß und vollem Geschütz müßig, zaudernd, unschlüssig zusehen konnten, wie Napoleon sich auf diesen Höhen formirte, die keinen Angriff wagten und Ihre Kolonnen nicht in den Abgrund stürzten – die sind schon geschlagen, vernichtet.« Der Sprecher sank zurück und drückte sein Gesicht in das Heu. Mit gespannter Aufmerksamkeit hatte der Kapitän ihm zugehört. Mit Voranschickung eines französischen Fluches schloß er: »In Ihnen ist ein Soldat verloren!« – »Verloren – verloren!« murmelte Bovillard dumpf in sich. »Warum, Kamerad? Der Mann ist's nie, wenn er sich nicht selbst verloren giebt.« – »Oder eine höhere Hand ihn schlug! – Da wieder!«
    Er athmete krampfhaft auf. Die brennenden Augen stierten in den Morgennebel. Die Hand machte eine konvulsivische Bewegung, er war im Fieber: – »Morgen, morgen hinab – mit meinem Vaterland!« – »Sehn Sie Geister?«
    Der Kapitän fuhr mit Franzbranntwein über die eiskalte Stirn des Verwundeten. Er erholte sich, er hatte sich wieder aufgerichtet. Die Krähen flatterten, durch etwas erschreckt, schreiend in die Höhe, die Morgenluft strich durch die Wipfel des Holzes. Es war ein Bedürfniß, sich selbst Luft zu machen, als Louis mit tonloser Stimme vor sich hin sprach: »In Rudolstadt, am Tage vor seinem Tode, hatte der Prinz an der fürstlichen Tafel gespeist. Die Familie nahm ihn beim Aufbruch mit sich in ihre Gemächer; er winkte mir im Abgehen, daß ich auf ihn warte. Dort warf er sich ans Klavier und überließ sich seinen Phantasien. Er hat nie so schön gespielt. Ich stand allein in dem Saal, ein alterthümlich Zimmer, es dunkelte. Ich lehnte mich an den Fensterpfeiler und sah den Wolken zu, die über den Horizont strichen. Ich schloß wohl die Augen. Das waren Töne, die nicht die Finger den Tasten entlockten, die Seele wogte in düstern und schmerzlich weichen Melodien; er schüttete sein Innerstes aus. Die Prinzessinnen weinten. Wolken, nichts als Wolkengetreibe mit blutrothen Streifen. Da fuhr eine kalte Hand über meine Stirn, die Hand des Todes, und vom Druck öffneten sich meine Augen. Es gleitete an der Wand hin, ein Schein, ein Licht, wie ich es nie gesehen – ein Roß in den Wolken, Pulverdampf, Staub. Es bäumte sich mit seinem Reiter – ein Blitzschlag, oder ein Strahl, aus den Wolken niederzückend – der Schädel spaltete – die Brust klaffte – der Reiter sank vom Pferde – und es ward wieder Nacht. – Im selben Augenblicke schloß das Spiel am Klavier mit einer grellen Dissonanz, als sprängen die Saiten. – Der Prinz, blasser als je, trat heraus und winkte mir, ihm zu folgen. Er blieb einsilbig. Als er mich entließ, sprach er dumpf: ›Ich habe meinen Tod gesehen –‹ Er hatte gesehen, was ich sah.« – »Und?« – »Er fiel am nächsten Tage.« – »Und Sie?« – »Ich bin kein Fortepianospieler, der auf den Wellen der Melodien sein Schicksal beschwört. Und doch, vorhin drückte wieder dieselbe kalte Hand auf meine Stirn, die Wolken theilten sich und ich sah – ich sah nicht mehr, als ich schon längst gesehen, und ich sehe es wieder –« Er richtete sich plötzlich auf, er stand aufrecht. »Lachen Sie doch! – Wenn Sie ein Schüler von Voltaire und Diderot, so müssen Sie mich auslachen – ich sah mich selbst.«
    Der Kapitän lachte nicht, ihn fröstelte. Er sah eine Patrouille mit einem Ordonnanzoffizier heraneilen. Er reichte dem Gefangenen die Hand: »So wünsche ich Ihnen wenigstens Eines – vor Ihrer letzten Stunde einen letzten Sonnenblick.« Bovillard schüttelte die dargereichte: »Das ist ein guter Wunsch. Das Scheiden von diesem Leben wird mir nicht schwer, ist's doch nur ein Rest, den ein Verschwender ließ – aber scheiden mit einer hellen Aussicht, von Harmonien umrauscht – und es ist mir gewährt, ich sah ein Bild –« Der Ordonnanzoffizier war herangetreten: »Der Gefangene soll schleunigst vor Seine Majestät den Kaiser gebracht werden.« – »Glück auf!« flüsterte der Kapitän ihm zu. »Das ist Ihr schönes Bild.«
    In der kleinen Hütte eines Haidewärters stand der große Mann des Jahrhunderts. Sie war so klein, daß der Adjutant, der die Feder führte, sich in den Winkel drücken musste, um den Bewegungen des Kaisers Platz zu machen. Den Hut auf dem Kopfe, den Kapotrock über der Uniform, schritt er auf und ab, den Tubus in der behandschuhten Hand. Er diktirte, er sprach zu den

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