Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
Vom Netzwerk:
der Magnet nach ihm zeigt? Es wäre die Arbeit eines Narren, den Magnet zwingen zu wollen, daß er nach einer andern Himmelsgegend weist. Das sind ewige Nothwendigkeiten, vor denen sie sich beugen sollen und müssen, die nicht Muth haben, sie freiwillig anzuerkennen. Dieser überreichen Welt an Allem fehlt nur etwas – Charaktere. Ich bilde mir nicht ein, sie bessern zu wollen, dazu fühle ich mich zu schwach, aber ich bin stark genug, mich nicht von ihr bilden, fortreißen zu lassen.«
    »Lebe wohl, Walter!« sprach sie mit erstickter Stimme. »Ich habe den Glauben: es ist kein Lebewohl für immer. Wir sehen uns wieder.« Sie drückte, sich auf den Zehen hebend, einen Kuß auf seine Stirn; dann schwebte sie in den Wagen, er rollte fort.
     
Dreiundachtzigstes Kapitel.
     
Der Schüler des Schauspielers.
    Es war eine wunderbar bewegte Nacht vom 13. zum 14. Oktober. Die Sterne warfen kein Licht auf das tiefe Saalethal, und die Tausende von Lichtern, die auf Befehl an den Fenstern der Stadt Jena brannten, verbreiteten nur einen ungewissen Schimmer, der die Dunkelheit noch dunkler zeigte. Durch die Krümmungen der Schlucht, so weit das Auge getragen hätte, das Ohr reichte, wogte und wallte es; es war kein Strom, der durch die Rippen der Erde bricht, keine Windsbraut, die die Wolken peitscht, keine Feuersbrunst, die über Dächerreihen prasselt, es war ein heimliches dumpfes Wirken und Schaffen, wie eine Sprache, die keine artikulirten Töne findet. Wie die Riesenschlange die Erde umfasst: in lautloser Wuth und Kraft drückt sie ihre Weichen, und da steigen gepresste Schmerzenstöne in die Luft, so durchbrach die Monotonie hier ein Schrei, dort ein Hallo, ein Zusammenstoß der Geschütze und Rüstwagen, ein Peitschenknallen, ein grässlicher Fluch. Dann aber tiefe Stille, man hörte nur den dumpfen, dröhnenden, ehernen Tritt der Tausende, die Erde stampfend, das Wiehern der Rosse, das wuchtige Rasseln der Kanonen.
    Die Heeressäulen der Franzosen wälzten sich durch das tiefe Saalethal; wie die fabelhafte Heerschlange, die im Thüringer Walde sich zeigt, eine Kette, Mann und Roß, von den Höhen der Berge bis schon hinaus viele Meilen über Jena, da, wo die Unstrut in die Saale fällt. Die Thüringer, die das Weh aller großen Kriege, welche Deutschland zerfleichten, in ihren schönen Thälern, an ihren Berggeländen recht aufgesogen und eingesammelt, hatten solche Massen Krieger nie gesehen. Eine Völkerwanderung schien es.
    Wo die Schlange sich in dem Lichtschein ringelte, blitzte es auf von den Bajonetten und Flintenläufen, den funkelnden Säbeln, von umbauschten Helmen. Da auf dem Markte preschten die Chasseure, Raum machend für den Gewaltigen, und die Glieder standen und präsentirten. Es war eine kurze, aber ernste Heeresschau. Tausende und Tausende wälzten sich durch die Thore weiter, aber Tausende und Tausende verschwanden aus der lichthellen Stadt, man wusste nicht, wohin. Keiner legte sich zur Ruhe, der Kaiser wachte! Für nicht wie viel Tausende sollte es die letzte Nacht sein, eine schlaflose Todesnacht.
    Steile Felsberge gipfeln sich über der Stadt; die Knaben üben sich im Spiel zu klettern, der Jenaer Bursch wagt in kecker Laune den gefährlichen graden Aufweg; wie wollen Mann und Roß und Kanonen zu uns herauf? scheinen die kahlen Berge höhnisch zu fragen. Aber ein siegreiches Kriegsheer hat für jede Mauer eine Leiter. Es ward eine Nacht voll Bewegung und Leben; Fackeln, brennende Kienscheite erhellten die Berge, die Axtschläge krachten durch das Thal. Es giebt keine noch so nackte und steile Höhe, die nicht durch Schlingungen und Wendungen zu gewinnen ist. Einige hat hier die Natur oder Vorzeit schon gebildet, der Berg am Mühlthal heißt die Schnecke, andere kann ein geübter Blick suchen, und wo die Natur vorgearbeitet, hilft die Kunst nach. Napoleon hatte in jener Nacht auch die Hülfe der deutschen Wissenschaft. Ein gelehrter Militär in seiner Suite, welcher einst in Jena studirt, wies den Ingenieuren die Stege, die er im tollen Uebermuth der Jugend erklettert. Was man in einer Wette thut um Kannen Bier, soll man's nicht, wo der Einsatz die Weltherrschaft ist! Schaufeln und Aexte halfen nach; Gerüll, in die Tiefen geschleudert, Baumstämme wurden zu Brücken und das Saalufer von Jena war kein schneebedeckter Simplon. Wo die Pferde nicht konnten, zogen Menschenarme das Geschütz. Napoleon schmähte in dieser Nacht nicht auf die Ideologie der deutschen Studenten.
    Lange, ehe der erste Hahn

Weitere Kostenlose Bücher