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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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fiel der Geheimrath ein.
    Es trat eine Pause ein. Der Minister hub wieder an: »Ich gebe Ihnen zu, Bovillard, wir erscheinen als Kinder, indem wir dies unterstützen. Ich gebe Ihnen noch mehr zu, meine ganze in einer großen Stadt hervorgezauberte Ländlichkeit ist auch nur ein Kinderspiel; wer aber hielte es aus ohne ein Spiel der Phantasie! Nur darin ist der Unterschied, daß die Einen es wie ein
joujou de la Normandie
in die Hand nehmen, um es aufzurollen und wieder fallen zu lassen. Wir Andere vertiefen uns, glücklich wenn wir in dem Spiel uns selbst vergessen.«
    »Die Tiefe Ihres Sentiments, Excellenz, wird Ihnen Niemand abstreiten.«
    »Sagen Sie lieber Innigkeit, Zärtlichkeit, wie Sie wollen. Ich empfinde es tiefer als Viele, was uns Alle ermattet. Wie es um uns her grau ist, abgelebt aussieht, wie auf einem Stoppelfelde! Was ging nicht unter! Unsere Adelsherrlichkeit, unsere Schlösser und Burgen! Der Lüster unserer Salons! Das heilige Römische Reich folgte unserem Glauben an seine Herrlichkeit. Was ist unsere Philosophie, unsere Gelehrsamkeit, selbst unsere Poesie und Literatur, die kaum aufgeblühten, die kaum das Ausland zu observiren schien –
ils sont passés ces jours de fête,
denn selbst dem vergötterten Schiller zupfen die jungen Romantiker seine Schwanenfedern aus.«
    »Excellenz, ein anderer Mathisson! Elegieen auf die Ruinen einer verfallenen Welt!«
    »Durchrieselt uns nicht Alle das Gefühl eines inneren Zerfalls der Dinge! Unsere Kultur, unsere Industrie, Politik, vielleicht selbst unsere Population, alle zuweit getrieben, schmachten nach einer Rekreation.«
    Durch den Buschweg, den sie nach dem Hause einschlugen, kam ihnen der Kammerdiener mit einem verdeckten Korbe entgegen: »Ah, Rekreationen, die uns die Frau Ministerin schickt!« rief Bovillard, der hungrig geworden, und schlug die Serviette zurück. Die frischen Kirschkuchen und das Gelée in Gläsern blickten ihm nicht unangenehm entgegen, aber der Kammerdiener zog den Korb entschieden zurück: »Verzeihn Sie gnädiger Herr, das ist für die Herren Urmenschen auf der Insel. Ich habe mich etwas verspätet.«
    »Gedulden Sie sich etwas, lieber Bovillard. Für Ihren Geschmack sind doch nicht diese idyllschen Fruchtgenüsse. Aber ich will Ihnen eine allerliebste kleine Straßburgerin vorsetzen,« lächelte die Excellenz. »Wenn auch nicht ganz Unschuld, doch sehr pikant, und eben frisch angekommen.«
    »Die Damen bleiben doch die Blüthen der Natur,« entgegnete der Geheimrath, »ich meine aber die in der Mitte zwischen Gänseblumen und verwelkten Tulpen.«
    Bei einer Oeffnung der Büsche hatten die Spaziergänger einen Blick auf die Rückseite der sogenannten Insel. Der Kammerdiener hatte auf einer Stange den Erfrischungskorb hinüber gereicht. Die Urmenschen hielten es für naturgemäß, sich darum zu balgen. Der stärkere stemmte den Kopf gegen den Bauch des andern und hob ihn durch einen gymnastischen Schwung auf die Schultern.
    Bovillard lachte, der Minister glaubte eine Erklärung oder Entschuldigung geben zu müssen. Die Kinder glaubten nur, es den wilden Thieren nachthun zu müssen, wenn ihnen das Fressen vorgeworfen wird; übrigens liebten sie sich als Brüder und würden nachher schon gerecht theilen.
    »Ich lache nicht darüber, mir kam nur eine Szene bei Rietz in den Sinn.«
    »Bei Rietz,« wiederholte der Minister nachsinnend.
    Um des Geheimrathes Lippen schwebte ein faunisches Lächeln: »Excellenz werden sich vielleicht noch der Jenny erinnern. Sie sang uns da die Marseillaise entzückend schön. Während wir klatschten, rief sie mit einem Mal:
ça ira!
und mit einem Satz vom Stuhl auf den Tisch! Schenkt ein! rief das delicieuse Wesen, und nur auf einem Zeh schwebend, hob sie das schäumende Glas:
Vive la liberté!
Ohne einen Tropfen zu vergießen, trank sie's aus. Eine Grazie, wie eine Göttin, wie sie zwischen den Flaschen schwebte, das leichte Mousselinkleid in antiken Falten, den Rosazephyr um ihren Nacken, und ihr Teint von der Freude, vom Wein angeröthet. So tanzte sie, nein, es war kein Tanz, es war doch ein Hinsäuseln der ätherischen Freude über die Tafel. Kein Glas fiel um. Die ganze Gesellschaft außer sich, wir mussten ihre Füße küssen.« Der Minister hatte unwillkürlich den Kopf gesenkt. Bovillard fuhr fort: »Einer unserer verehrten Freunde, erinnere ich mich noch sehr wohl, war so benommen von olympischer Lust, daß er sich die Weste aufriß und das Füßchen an sein pochendes Herz drückte.

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