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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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Darüber verlor die Grazie das Uebergewicht, und ehe wir's uns versahen, umfasste er sie und trug sie fort.«
    Bovillard sah nicht, wie der Minister mit der Hand abwehrend winkte. »Wie die Najade sich schalkhaft sträubte, ihr Zephyr flatterte, eine Attitüde, Excellenz, ich wünschte, Sie hätten es sehen können. Das war doch ein Jubel, eine Admiration! ›Der Sabinerinnen Raub!‹ wie aus einem Munde scholl's. ›Ein leibhafter Johann von Bologna!‹«
    »Was öffnen Sie die Gräber der Vergangenheit, Bovillard! Ich ward ein schlichter Hausmann.«
    »War's denn was Böses?«
    »Eine Verirrung doch wohl, liebster Freund. Das müssen wir zugeben, aber die edelsten Empfindungen lagen zum Grunde. Es war mir oft so wie in der Brüdergemeinde. Aller Schein, aller Standesunterschied, das Drückende unsrer Verhältnisse sinkt wie ein Schleier. Der Bruder- und Schwesterkuß drückt das Siegel der Humanität, der edlen Gleichheit auf unsre Lippen, und nun fallen mit den Titeln alle beengenden Rücksichten fort. Man fühlt sich wieder in der Natur, dem Ursprünglichen näher gerückt, das Herz geht auf, man schließt es unwillkürlich weiter auf, vielleicht weiter als man sollte – aber es ist ja eben dieser Drang, der uns glücklich macht.«
    Der Geheimrath blieb einen Augenblick stehen: »Ich besorge, daß Excellenz an jenem Abend Ihr Herz zu weit aufgeschlossen haben. Die Jenny war ein pfiffiges Ding.«
    »Ich wüsste doch nicht –«
    »Das glaube ich gern. Der Champagner bei Rietz war immer
première qualité.
Aber erinnern sich Excellenz, daß damals die hannöversche Geschichte spielte – man schickte einen Courier nach, um eine gewisse Depesche
coûte que coûte
zurückzuholen. Die Jenny, wenn sie noch lebt, wird das freilich längst vergessen haben, aber –«
    »Wem könnt' ich sonst –«
    »Nicht Excellenz, aber die Jenny. Als sie nach Hause fuhren, stahl sich Lupinus zu ihr. Ich bin nicht bei ihrer Entrevue gewesen, noch habe ich, Gott bewahre, mein Ohr ans Schlüsselloch gelegt, aber ich weiß nur, daß auch sie von allen beengenden Rücksichten sich frei, sich wieder in der Natur fühlte, dem Ursprünglichen näher gerückt, daß sie ihr Herz auch aufschloß –«
    »Dem Lupinus, Pfui!«
    »Der Schwesterkuß drückte das Siegel der edlen Gleichheit Allen auf. Ich will auch nicht verschwören, daß nicht die undankbare Schelmin Ew. Excellenz etwas raillirt hat. Der Sillery hatte sie, wie gesagt, auch animirt, und statt die Mysterien der süßen Stunde in ihrer Brust zu verschließen, machte sie sich über den Minister lustig, der ihr zu Füßen gestürzt, ihre Knie umfasst, und geschworen hatte, vor solcher Huld und Grazie etwas Geheimes auf der Brust zu behalten, wäre Sünde. Wie die Sonne die Knospe entfalte, müsse das Herz sich erschließen vor der Schönheit. – Excellenz, solche Geschöpfe sind launenhaft, unberechenbar. Sie hatte sich vielleicht bei den politischen Herzensergießungen etwas ennuyirt. Nun musste sie gegen den ersten, besten, den sie sah, auch ihr Herz und ihr Lachen ausschütten. Wie gesagt, was die Jenny betrifft, sie hat alles ausgeschüttet, aber – ich weiß nur aus manchen gelegentlichen Redensarten, daß der Geheimrath manche dieser Reminiscenzen eingeschachtelt hat.«
    Es folgte eine lange Pause, in welcher im Minister Vielerlei vorging. Sie setzten sich auf eine beschattete Bank, mit der Aussicht auf einen Wiesenplan und das Haus. Ihr Gespräch war noch nicht zu Ende; das fühlte sich von beiden Seiten heraus, wenn gleich Jeder den Anfang zu machen scheute. Der Minister saß nachdenkend, den Kopf im Arm gestützt.
    »Bovillard,« hub er endlich an, »will Ihr Protegé sich rächen, vergessene Dinge ausplaudern, so trifft es nur mich! Was ist der Einzelne dem Staat gegenüber!«
    »Excellenz, auf der Goldwaage, auf der Lupinus zu leicht wiegt, müssten Viele springen.«
    »Und wer sagt ihnen, daß sie nicht springen werden, – wenn ein Changement eintritt.«
    Bovillard sah den Minister groß an: »Nach Lombards Depeschen! Die Radziwill hat sich vor Aerger krank melden lassen, die schöne Prinzeß Wilhelm schreitet wie eine heilige Katharina in stummem Zorn durch ihre Gemächer, die Garde du Corps – was weiß ich, was sie thun. Prinz Louis hat, glaube ich, ein Pferd todt geritten, und bei der Mamsell Rahel Levin ein Collegium Philosophikum aus Verzweiflung sich bestellt.«
    »Sind damit Ihre Novitäten zu Ende?«
    »Der Einfluß der auswärtigen Mächte ist damit

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