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Ruhe Sanft

Ruhe Sanft

Titel: Ruhe Sanft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meyers
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klar die Außenseiterin in dieser Gruppe.
    Sie lächelte die Frau an und ging wieder in den dunklen Flur hinaus, indem sie den Rucksackriemen über die Schulter zog. Jemand kam hinter ihr heraus, die Frau Wetzon drehte sich nicht um.
    Etwas — dick und wollen — legte sich über ihre Kehle, würgte sie. Sie zerrte, wehrte sich gegen den Arm, atmete einen scharfen Zigarettengeruch ein. Sie bekam keine Luft... ihre Kehle... Ihre Hände zogen an einem Gesicht, einem Bart. Sie versuchte zu schreien. Die Welt wirbelte tief, tief blau. Sie wurde bewußtlos. Sie bringen mich um, dachte sie. Sie hatte das Gefühl, eine endlose Rutschbahn hinabzugleiten.

Ida winkte ihr zu. »Gehen Sie weg... gehen Sie weg... Sie machen Ärger...«
    »Armes Ding«, sagte jemand.
    Wetzon schlug die Augen auf und sah fließende blaue und gelbe Flecken. Sie blinzelte. Ihre Kehle... sie hatte einen ekelhaften Klumpen in der Kehle, den sie nicht runterschlucken konnte.
    »Armes Ding.« Die Frau im blauen Taft raschelte, beugte sich über sie, fächelte ihr mit dem großen blauen Hut Luft zu. »Sie müssen ohnmächtig geworden sein.«
    Wetzon lag mit dem Rücken auf dem Boden in dem dunklen engen Gang zu den Toiletten. »Nein... nein... wo ist er? Haben Sie ihn gesehen?« Ihre Stimme kam wie ein Krächzen heraus.
    »Wen gesehen, Schatz?« Die Frau rückte den Hut wieder auf dem Kopf zurecht und spießte ihn mit einer langen spitzen Hutnadel fest. »War keiner hier, nur Sie auf dem Boden.« Sie roch nach Puder und Poison.
    Wetzon setzte sich auf. Verflixt, ihre Kehle war wund. Der Boden war schmutzig. Sie wischte Zigarettenkippen von den Händen und Kleidern ab. Pfui.
    »Okay?« fragte die Frau. »Soll ich jemand zu Hilfe holen?«
    »Nein.« Wetzon stand mühsam auf. Der Rucksack lag neben ihren Füßen. Es war kein Raubüberfall gewesen »Ich gehe bloß...« Sie deutete auf die Damentoilette. Sie schüttelte sich. Ihre Schultern schmerzten, wo er sie gepackt hatte. »Sind Sie sicher, daß Sie niemand gesehen haben?«
    »Niemand, glauben Sie mir.« Die Frau hob die massigen Schultern. Sie log, und sie wußte, daß Wetzon es merkte. Ihr Busen wogte. »Ich glaube, Schatz, Sie sind zu dick angezogen. Körper muß atmen. Keine Luft... ohnmächtig.« Sie strich das bauschige Kleid über ihren breiten Hüften glatt. »Sie sind jetzt okay. Ich sehe es.«
    Ein Mann mit einer Zigarette im Mundwinkel und einer Wodkaflasche in der Hand tauchte in dem kurzen dunklen Flur auf, und die Frau im blauen Taft drückte sich rasch an ihm vorbei. Er machte eine Bemerkung auf Russisch, die in Wetzons Ohren anzüglich klang, und die Frau gluckste.
    Wetzon nahm ihren Rucksack am Riemen und ging in die Damentoilette. Bevor sie die Tür zuschlug, sah sie erleichtert, daß der Mann im Flur glattrasiert war.
    Ihr Gesicht im Spiegel war blaß, und der Lidschatten war grau auf der rechten Wange verschmiert. Sie hatte ein scheußliches Gefühl in der Kehle. Vorsichtig rollte sie den hohen Kragen des Pullovers herunter. Ihr Hals hatte rote Druckstellen. Sie wußte, daß sie nun bis über beide Ohren drinsteckte, aber es war zu spät, um zu wünschen, sie wäre nie hierhergekommen. Hazel hatte recht. Sie hätte es der Polizei überlassen sollen.
    Die Frau in Blau hatte gelogen. Steckte sie mit dem Mann, der sie überfallen hatte, unter einer Decke? Oder wollte sie nur nicht hineingezogen werden? Vielleicht hatte die Frau ihn erkannt... Oh, verdammt. Das Schlucken tat so weh, daß es ihr die Tränen in die Augen trieb. Sie machte das Gesicht ein wenig naß, tupfte die Augen mit einem Kleenextuch ab und wischte den verschmierten grauen Lidschatten weg. Sie erneuerte ihr Make-up, s0 gut sie konnte, und dachte dabei nur noch daran, wie lange sie bis nach Hause brauchen würden.
    Als sie ins Restaurant kam, stampften die Tanzenden mit den Füßen und klatschten in die Hände. Eine Balalaika war zu den anderen Instrumenten gekommen, und ein Mann im weißen Smoking saß an dem silbernen Flügel. Um die Tanzfläche herum gab es eine Menge bärtiger Männer, kurze Bärte, lange Bärte, krause Bärte, rote Bärte, braune, schwarze. Es war wie verhext. Sie hatte das Gesicht des Mannes nicht gesehen, also würde sie ihn nie identifizieren können.
    »Miss... Miss... warten Sie!« Es war der Kellner, der sie angestarrt hatte. Instinktiv schreckte sie vor ihm zurück. Er erwischte sie am Arm. »Nein, warten Sie... bitte.« Sie wollte schreien, aber es waren so viele Menschen in der Nähe, daß

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