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Ruhe Sanft

Ruhe Sanft

Titel: Ruhe Sanft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meyers
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der Tür auf sie zusteuern. Sie spürte, wie sie rot wurde, als hätte man sie bei einer gewissenlosen Tat ertappt. Was ja auch stimmte. Und alles nur wegen Smith. Sie drückte auf die Taste, unauffällig, wie sie hoffte, und stellte die Tasche wieder auf den Boden neben ihre Füße.
    Arleen rauschte in den Raum, eindrucksvoller, als Wetzon sie in Erinnerung hatte, im langen Silberfuchsmantel mit breitem Schalkragen, den sie anscheinend nicht der Garderobe anvertrauen wollte. Sie trug Stiefel mit hohen Absätzen. Ihr tiefschwarzes Haar war wieder zu der festen Krone aus kleinen Schmachtlocken frisiert, und die bernsteinfarbenen Augen hinter der großen, runden getönten Brille waren riesig. Alle Gäste drehten sich nach ihr um.
    »Wetzon, meine Liebe.« Arleen ließ den Mantel auf einen der überzähligen Stühle fallen. Sie war buchstäblich in ein schwarzes, metallisch glänzendes Outfit gegossen, einen eng anliegenden schwarzen Pullover mit langen Ärmeln, der jeden Wulst zeigte, wo der Büstenhalter in das Fleisch einschnitt, und einen langen engen Rock, der die breiten Hüften und kräftigen Oberschenkel betonte. An den großen Ohrläppchen trug sie riesige Diamantenanhänger, und auf ihrem Busen schwebte ein glitzerndes Halsband aus Diamanten in Form eines aufsteigenden Vogels.
    Wetzon preßte sich an die Leisten der Stuhllehne und versuchte instinktiv, mehr Raum zwischen sich und Arleen Grossman zu bringen. Ein Raubtier, dachte sie. Warum zum Kuckuck hatte Arleen sich so aufgedonnert? Und was für eine Vorführung!
    Arleen ließ sich mit einem kleinen Ruck auf einem Stuhl nieder und winkte mit der juwelengeschmückten Hand dem Kellner. »Einen Bellini bitte«, sagte sie mit der gar nicht zu ihr passenden Kleinmädchenstimme.
    Der Kellner, ein sehr schlanker, muskulöser junger Mann, der eine kleine weiße Schürze über schwarzen Hosen und weißem Hemd trug, wirkte verblüfft und begegnete zufällig Wetzons Blick. Sie lächelte. Er nickte. Er war Tänzer. Es war eine Art sechster Sinn, mit dem Tänzer einander erkannten. Sie wußte Bescheid. Er wußte Bescheid. Vielleicht hatten sie sogar einmal zusammen gearbeitet. Er war ungefähr in ihrem Alter, vielleicht ein wenig älter.
    Er brachte ihnen die Speisekarten und eine kleine Schiefertafel, auf der in Kreide die Empfehlungen des Tages standen. Wetzon bestellte den warmen Chicoreesalat und die gegrillte Forelle. Bringen wir diese idiotische Show hinter uns, dachte sie ungeduldig.
    Arleen nahm die Sauerampfersuppe und ein Steak mit pommes frites naturellement. Fett zu Fett. Mensch, du bist gemein, Wetzon, dachte sie.
    »Wein dazu?«
    »Für mich nicht. Ich trinke lieber noch einen Perrier.«
    Der Kellner stellte ein schmales Holzbrett mit aufgeschnittenem Weißbrot und einem irdenen Töpfchen mit Butter auf den Tisch. Sofort langten Arleens fleischige Finger nach Brot und Butter. Sie trug einen gewaltigen Ring aus Diamanten im Baguetteschliff und im Kreis angeordneten Steinen, vermutlich Smaragden, die zu einer erhöhten Spitze in der Mitte zusammenliefen, die von einem weiteren Diamanten gekrönt war. Um das linke Handgelenk lag eine Uhr mit breitem Goldband, deren Zifferblatt ebenfalls von kleinen Diamanten gerahmt war.
    »Also dann.« Arleen strich über ihr Haar und bedachte Wetzon mit einem breiten Lächeln, bei dem sich ihr Gesicht außer um den großen rosa Mund nicht regte. Wo hatte Wetzon gelesen, daß ein echtes Lächeln Fältchen um die Augen erzeugte? »Ist das nicht einfach himmlisch?«
    Wetzon spürte, wie sie auf ihrem Stuhl schrumpfte und sich am liebsten unter dem Tisch versteckt hätte. Rasch schaltete sie ihren geistigen Motor auf Computerautomatik um, wie sie es tat, wenn sie mit einem Makler sprach, der ungehörig in seiner Erscheinung oder, was häufiger vorkam, in seinem Auftreten war.
    »Ich empfinde soviel Sympathie für Sie«, begann Arleen, »daß ich weiß, ich kann Ihnen wirklich alles erzählen, und Sie werden meine Freundin sein.«
    »Danke, Arleen«, erwiderte Wetzon höflich, aber lieber hätte sie aufgeschrien und wäre geflüchtet. Warum hatte sie bloß so gute Manieren?
    »Die gute Xenia erzählte mir, daß Sie Waise sind, und ich möchte Ihnen nur sagen, daß ich mich in Sie hineinversetzen kann. Ich bin auch Waise.«
    »Wie bitte?« Wetzon glaubte nicht recht zu hören. In ihrer Brust begann ein Feuer zu schwelen. Wie konnte es Smith wagen, irgend jemandem persönliche Dinge von ihr zu erzählen? »Also wirklich, Arleen,

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