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Ruhe Sanft

Ruhe Sanft

Titel: Ruhe Sanft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meyers
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ich spreche eigentlich bei Kindern von Waisen, nicht bei Erwachsenen. Ich wohnte gar nicht mehr zu Hause, als meine Eltern starben.« Und es geht Sie weiß Gott nichts an, hätte sie gern hinzugefügt.
    Arleens Augen füllten sich mit Tränen, und Wetzon schämte sich plötzlich. Vielleicht war sie jetzt zu weit gegangen.
    »Ist schon gut, liebe Wetzon.« Arleen tätschelte ihre Hand. »Ich verstehe Ihre Gefühle. Es ist leichter, nicht darüber zu sprechen. Ich tue es sonst auch nicht. Aber ich fühle mich Ihnen so nahe, und Sie haben soviel Einfühlungsvermögen. Meine Mutter wurde ermordet.«
    »Oh, Gott!« rief Wetzon unwillkürlich aus.
    »Ja, das ist die schmerzliche Wahrheit. Und zwar von meinem Vater, muß ich hinzufügen.« Arleens volles Gesicht war auf fast obszöne Weise feierlich. »Sie war noch schwanger mit mir. Ich wurde kurz danach geholt. Kein Mensch weiß, wie stark das Trauma ist, das ein Kind bei einer solchen Geburt erleidet.« Sie lächelte bescheiden. »Ich habe es zu meiner Lebensaufgabe gemacht. Ich studierte mit Hilfe eines Stipendiums am Duke College Psychologie. Ich machte nach drei Jahren Examen, und zwei Jahre später promovierte ich an der Boston University. Jahrelang habe ich Menschen behandelt, besonders Kinder, die auf Mutterliebe verzichten mußten.«
    Wetzon war verwirrt. Sie wußte nun schon mehr über Arleen, als sie jemals zu wissen gewünscht hatte.
    Der Kellner brachte Arleens Suppe und Wetzons Salat, der mit Speckstreifen garniert war. Wetzon nahm das Essen zum Anlaß, um den Bann zu brechen, den Arleen geschaffen hatte. »Ist der köstlich!« sagte sie.
    »Die Suppe auch. Möchten Sie probieren?«
    »Nein, danke. Ich weiß, daß sie sehr gut ist. Ich habe sie selbst schon gegessen.«
    »Sie fragen sich jetzt natürlich«, setzte Arleen ihren intimen Monolog fort, als habe es keine Unterbrechung gegeben, »warum hat mein Vater meine Mutter ermordet?«
    Wetzon starrte sie an. Sie schien auf eine Antwort zu warten. »Wurde Ihr Vater wegen des Mordes verhaftet?« fragte sie schließlich.
    »Nein, nein. Man hat es nie beweisen können, aber ich wußte es. Deshalb gab er mich zu einer schwarzen Amme und nahm meine Schwester, die damals sechs war, und ging nach New York, woher er und meine Mutter ursprünglich kamen.«
    »Und wo ließ er Sie?«
    »In Baltimore.«
    »Wie schrecklich.«
    »Ich bekam viel Liebe und Fürsorge von dieser wunderbaren schwarzen Frau, bis mein Vater mich aus ihren Armen riß, nach New York holte und in ein Waisenhaus steckte.«
    »Wo war Ihre Schwester?«
    »Sie lebte bei ihm und meiner Stiefmutter.«
    »Er heiratete wieder?«
    »Ja, und sehr schnell.«
    »Und ließ Sie im Waisenhaus? Wie grausam.« Grausamkeit von Eltern war schon schlimm genug. Aber dieser Vater war ein Mörder. Falls es stimmte.
    »Ja, bis ich sieben war. Meine liebe Schwester besuchte mich regelmäßig und brachte mir kleine Geschenke, die sie von den wenigen Pennies, die sie von ihrem Lohn behalten durfte, für mich kaufte. Sie schickten sie nämlich arbeiten, damit sie zum Haushalt beitrug.«
    »Fertig?« Der Kellner räumte die Teller ab.
    »Sie holten mich aus dem Waisenhaus heim nach Washington Heights. Ich war begeistert. Ich dachte, es würde alles gut. Aber meine Stiefmutter hatte ein Kind mit meinem Vater und mißbrauchte meinen Halbbruder sexuell. Sie haben meinen Bruder kennengelernt. Sie sehen den Schaden, den es bei ihm angerichtet hat. Meine Schwester und mich ließ sie die ganze Hausarbeit machen und gab uns die Abfälle zu essen.«
    »Das ist ja furchtbar, Arleen. Und Ihr Vater?«
    Arleens Augen füllten sich mit Tränen. »Er war ein schwacher Mensch. Er tat nichts. Verschloß vor allem die Augen. Er war ein böser, intriganter Mann.« Ihr Mund zuckte, und die Augen wurden hart. »Ich verzeihe ihm nicht. Ich verzeihe niemandem, der mir Böses antut.«
    Plötzlich schien das Restaurant kalt und zugig. »Aber Sie haben doch soviel aus Ihrem Leben gemacht, Arleen. Sie sind eine angesehene Psychologin, führen Ihre eigene erfolgreiche Firma. Sie haben soviel erreicht.«
    »Ja, das ist wahr.« Arleen nickte selbstgefällig. »Das ist hundertprozentig wahr, meine liebe Wetzon.«
    »Ich habe mich immer gefragt, wie Kinder in Armut und Hoffnungslosigkeit aufwachsen und manche sich davon lösen können, während andere dadurch zugrundegehen. Liegt es an den Genen?«
    »Sie sind so intuitiv, meine Liebe, deshalb mag ich Sie so sehr. Ich schrieb vor einigen Jahren genau über

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