Ruhe unsanft
waren erst am Vorabend eing e troffen, und Giles war so eifrig bei der Sache wie ein kleiner Junge mit einem neuen Spie l zeug.
»Ja, ungefähr«, antwortete Gwenda. Sie ging die Treppe hinauf und blickte kritisch über das Geländer. »Ja, ich glaube, dort war es.«
»Knie dich hin!«, befahl Giles. »Du warst ja höchstens drei Jahre alt, nicht wahr?«
Gwenda ging gehorsam in die Knie.
»Den Mann, der die ominösen Worte sprach, hast du also nicht gesehen?«
»Nein. Er muss von der Treppe verdeckt gewesen sein, etwas weiter zurück – ja, dort! Ich sah von ihm nur die Pfoten.«
»Pfoten…«, wiederholte Giles stirnrunzelnd.
»Wenn ich sie doch so in Erinnerung habe! Es waren Pfoten, graurosa, nicht menschlich.«
»Hör mal, Gwenda, verwechselst du das nicht mit der berühmten Geschichte von Poe? Der Doppelmord in der Rue Morgue? Menschen haben keine Pfoten.«
»Doch, der hatte welche.«
Giles sah zweifelnd zu ihr hoch. »Diese Einzelheit hast du sicher hinterher dazugedichtet.«
Gwenda ging langsam wieder hinunter. »Ob ich mir das Ganze nicht nur einbilde? Ich habe inzwischen viel nac h gedacht, Giles. Vielleicht habe ich geträumt. Das kommt mir jetzt am wahrscheinlichsten vor. Wenn man als Kind einen solchen Angsttraum hat, bleibt er haften, als wäre er ein reales Erlebnis. Meinst du nicht auch, dass das alles erklärt? Zumal kein Mensch in Dillmouth je etwas von einem Mord in diesem Haus gehört zu haben scheint, oder auch nur von einem plötzlichen Tod oder dem Ve r schwinden eines Menschen oder sonst etwas Verdächt i gem«
Giles sah wieder wie ein kleiner Junge aus, diesmal wie einer, dem man das schöne neue Spielzeug weggeno m men hat.
»Natürlich kann es ein Albtraum gewesen sein«, gab er widerstrebend zu. Gleich darauf erhellte sich seine Miene. »Nein, höchstens teilweise! Ein Kind mag von Affenpf o ten und sogar von Leichen träumen – aber ich fress einen Besen, wenn du das Zitat aus der Herzogin von Amalfi g e träumt hast!«
»Vielleicht habe ich es von jemand gehört und hinterher in meinen Traum eingeflochten.«
»Als Dreijährige? Ich glaube, kein Kind wäre zu so einer Gedächtnisleistung fähig, wenn es nicht unter ungewöh n licher Anspannung stünde – womit wir wieder beim Au s gangspunkt sind. Moment, ich hab’s! Nur die Pfoten w a ren geträumt. Du warst vor Schreck wie erstarrt, als du die Leiche sahst und die dir unverständlichen Worte hö r test, und beides brannte sich förmlich in dein Gehirn ein, und später im Albtraum hast du auch noch schlenkernde Affenpfoten dazu gesehen… Wahrscheinlich hattest du als Kind Angst vor Affen.«
Gwenda machte ein etwas zweifelndes Gesicht. »Mö g lich wäre es«, sagte sie zögernd.
»Ich wünschte, du könntest dich an ein bisschen mehr erinnern. Komm mal her, ja, zu der genauen Stelle. Mach die Augen zu und denk nach! Fällt dir nichts ein?«
»Nein, Giles. Je krampfhafter ich nachdenke, desto mehr rückt alles von mir ab. Ich bezweifle jetzt, dass ich als Kind überhaupt so etwas erlebt habe. Vielleicht sind neulich im Theater nur die Nerven mit mir durchgega n gen.«
»Nein. Da waren doch noch andere Einzelheiten. Sogar Miss Marple war beeindruckt. Wie war das mit dem N a men Helen? Irgendeine Gedankenverbindung zu Helen musst du doch haben!«
»Eben nicht, leider. Es war nur ein Name, weiter nichts.«
»Vielleicht nicht der richtige?«
»Doch. Es war Helen.« Gwendas Antwort klang har t näckig und überzeugt.
»Wenn du so genau weißt, dass es eine Helen war, musst du mehr von ihr wissen. Kanntest du sie? Wohnte sie hier? Oder war sie nur zu Besuch da?«
»Ich sage dir doch, ich weiß es nicht«, antwortete Gwenda, nun mit allen Anzeichen nervöser Erschöpfung. Giles versuchte es auf einem anderen Wege.
»An wen erinnerst du dich sonst? An deinen Vater?«
»Nein. Das heißt, ich weiß es nicht. In unserem Haus in Neuseeland hing sein Bild, und Tante Alison sagte oft: ›Siehst du, das ist dein Vater.‹ Ob ich ihn hier in ›Hillside‹ je bewusst gesehen habe, kann ich nicht sagen.«
»Und die Angestellten, die Kindermädchen oder so?«
»Nein, nichts. Je mehr ich nachdenke, desto leerer wird mein Kopf. Alles, was mir einfiel, war unbewusst – wie die Wand, auf die ich automatisch zuging. Ich habe mich an keine Tür erinnert. Wenn du nicht so drängtest, Giles, würde mir vielleicht mehr einfallen. Unsere Nachfo r schungen sind ja auf jeden Fall sinnlos. Es ist viel zu la n ge her.«
»Natürlich ist
Weitere Kostenlose Bücher