Ruhe unsanft
nächstes kam plötzlich Dr. Kennedy in die Küche und fragte nach Lily. Ich sa g te, sie war im Kino, würde aber wohl bald kommen, und richtig, da kam sie auch gerade, und der Doktor nahm sie mit nach oben, damit sie nachsah, ob von Mrs Halliday was fehlte. Lily kam dann ganz aufgeregt wieder zu mir runter und erzählte, ja, von den Kleidern waren eine ga n ze Menge weg, auch ein Koffer und eine Reisetasche. ›Sie ist also richtig mit ihrem Galan abgehauen!‹ sagte sie – entschuldigen Sie, so redete sie nun mal –, ›und der Herr ist völlig zusammengebrochen, er hat einen Schlaganfall oder so was. Der Doktor sagt, das käme vom Schock. Na, er hätte es eigentlich schon lange kommen sehen mü s sen.‹ Ich sage: ›Woher weißt du denn das so genau, dass sie durchgegangen ist, vielleicht hat sie ein Telegramm von einem kranken Verwandten gekriegt und musste ganz schnell hin.‹ – ›Dass ich nicht kichere!‹, sagte Lily wieder ganz frech, ›von wegen kranker Verwandter! Sie hat nen richtigen Abschiedsbrief hinterlassen.‹ – ›Mit wem soll sie denn deiner Meinung nach durchgegangen sein?‹, fragte ich, und Lily sagte: ›Na, mit dem ehrpussel i gen Mr Fane bestimmt nicht, und wenn er sie noch so anschmachtet und wie ein Schaf hinter ihr hertrottet. Ich wette auf den Captain – wenn’s nicht der geheimnisvolle Unbekannte mit dem schicken Wagen war.‹ Das mit dem feinen Auto war bloß so eine Blödelei unter uns. ›Ich glaub’s nicht‹, habe ich gesagt, ›nicht Mrs Halliday. Die tut so was nicht.‹ Und Lily hat gesagt: ›Na, offensichtlich doch!‹
Das alles war noch am Abend, gleich danach, müssen Sie wissen. Aber später, mitten in der Nacht, hat Lily mich plötzlich aus dem Schlaf gerüttelt. ›Hör mal‹, hat sie geflüstert, ›da stimmt was nicht.‹ – ›Was stimmt nun schon wieder nicht?‹, frag ich. ›Das mit den Kleidern‹, sagt sie. ›Als der Doktor mich zum Schrank geführt hat, hab ich ihm nur bestätigt, dass genug Kleider weg waren, um einen Koffer und eine Reisetasche damit zu füllen. Erst hinterher ist mir aufgefallen, dass es die falschen Sachen waren.‹ – ›Was soll das heißen?‹, frag ich. ›Na, zum Beispiel das graue Abendkleid mit Silberstickerei‹, sagt sie. ›Das nahm sie mit. Aber nicht die dazugehörige Unterwäsche. Und die Goldbrokatschuhe sind weg statt der silbernen Sandaletten, und das dicke grüne Winte r kostüm, das sie frühestens ab November trägt, und kein Pulli, aber massenhaft Spitzenblusen. Keine Frau würde so blödsinnig packen. Und nun merke dir meine Worte, Edith‹, sagte Lily. ›Sie ist gar nicht durchgebrannt. Der Major hat sie umgebracht!‹
Na, mittlerweile war ich hellwach. Ich fuhr im Bett hoch und zischte sie an, wie sie auf solche verrückte G e danken käme, und da sagte sie: ›Es ist genau wie neulich in der Wochenschau: Da hatte auch einer rausgekriegt, dass seine Frau ihn betrog, und er hat sie umgebracht und im Keller vergraben.‹ – ›Da hätte ich doch was hören müssen‹, stottere ich ganz verwirrt. ›Von der Küche aus kannst du nichts hören, wenn die Tür zu ist, und der Ke l ler ist auf der anderen Seite unter der Halle. Nein, er hat sie abgemurkst und hinterher einfach irgendwelche S a chen von ihr in den Koffer gepackt und das Gepäck we g geschafft, damit es so aussieht, als hätte sie ihn verlassen – aber in Wirklichkeit ist sie nicht lebend aus dem Haus gekommen. Sie liegt unten im Keller vergraben.‹ Ich hab Lily angefaucht, sie sollte keinen so sündhaften Unsinn reden, aber Ihnen kann ich ja gestehen, dass ich am nächsten Morgen heimlich in den Keller gegangen bin und nachgesehen habe. Es war alles wie gewöhnlich, kein Stäubchen und schon gar keine Grabspuren, und ich bin wieder raufgegangen und hab Lily meine Meinung gesagt. Aber sie blieb dabei, der Herr hätte sie umgebracht. ›Sie hatte eine Todesangst vor ihm, weißt du nicht mehr?‹ sagte sie. ›Ich hab’s doch neulich mit meinen eigenen Ohren gehört.‹ – ›Da täuschst du dich, Lily‹, sag ich. ›Der Major war noch gar nicht zuhause. Ich hab ihn nämlich erst eine halbe Stunde später mit eigenen Augen vom Golfplatz kommen sehen. Also kann Mrs Halliday nicht mit ihm gesprochen haben, als du in der Halle Staub g e wischt hast. Es muss jemand anders gewesen sein.‹«
Das Echo der letzten Worte schien in dem gemütlichen alltäglichen Wohnzimmer nachzuhalten.
Giles wiederholte halblaut: »Es muss jemand anders gewesen
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