Ruhe unsanft
verabreichte sie ihm. Kennedy war ihr Hausarzt, was durch den Umstand bewiesen wird, dass Halliday ihn zurate zog. Er vertraute seinem ärztlichen Können, so war es für Kennedy ein Kinderspiel, ihm die Mittel selbst zu verabreichen und gleichzeitig wachsendes Misstrauen gegen Helen einzuflößen.«
»Aber gibt es denn Drogen, die einem Menschen einen Mord suggerieren können, den er nicht begangen hat?«, fragte Giles.
»Mein lieber Giles, da sind Sie wieder in die Falle g e gangen, vor der ich immer warnte: zu glauben, was Ihnen erzählt wird. Sie hatten nur Kennedys Wort dafür, dass Halliday jemals diese bestimmte Halluzination – das E r drosseln seiner Frau – durchlebte. In seinem Tagebuch findet sich kein Hinweis darauf, nur auf allgemeine Hall u zinationen, Albträume, ohne nähere Erklärung. Aber ich wage zu behaupten, dass Kennedy ihm von Männern erzählte, die ihre Frauen umbrachten, als sie eine Phase der Gemütsverwirrung wie die seine durchmachten.«
»Wie niederträchtig, wie gemein!«, sagte Gwenda.
»Ich glaube«, fuhr Miss Marple fort, »dass Kennedy zu der Zeit die Schwelle zwischen Vernunft und Wahnsinn endgültig überschritten hatte. Und Helen, das arme Kind, begann zu begreifen. An jenem Tag, als Lily sie von der Halle aus belauschte, muss es ihr Bruder gewesen sein, zu dem sie sagte, er sei nicht normal, und sie wisse jetzt, dass sie eigentlich schon immer Angst vor ihm gehabt habe. Deshalb beschloss sie, von Dillmouth wegzuziehen. Sie überredete ihren Mann, in Norfolk ein Haus zu kaufen, und sie überredete ihn, es niemand zu erzählen. Das war an sich schon eine sehr seltsame Sache. Und die Hei m lichtuerei dabei sehr aufschlussreich. Ganz offensichtlich hatte sie Angst davor, dass es jemand erfuhr – doch Fane oder Afflick kamen dafür nicht infrage. Denn nach allem, was wir wussten, gab es keinen Grund, ihnen den Umzug zu verschweigen. Sie waren nur Randerscheinungen in ihrem Leben, wie Erskine auch. Nein, es wies auf jema n den hin, der ihr nahe stand.
Und am Ende erzählte Halliday seinem Schwager alles, weil ihn das Geheimnis zweifellos drückte und er den Grund von Helens Bitte nicht einsah.
Damit war sein und Helens Schicksal besiegelt. Kenn e dy war nicht gesonnen, Helen ziehen zu lassen und zuz u sehen, wie sie mit ihrem Mann glücklich wurde. Vermu t lich war es seine Absicht gewesen, nur Hallidays Gesun d heit zu untergraben. Doch über der Entdeckung, dass sein Opfer und Helen ihm entschlüpfen wollten, drehte er völlig durch. Er ging direkt vom Krankenhaus, ein Paar Chirurgenhandschuhe in der Tasche, durch den Garten von ›St. Catherine‹ ins Haus. In der Halle traf er auf H e len und erwürgte sie. Niemand sah ihn, es war niemand da, der ihn hätte beobachten können – so dachte er w e nigstens –, und da zitierte er plötzlich, gepeinigt von se i ner Liebe und seinem Wahnsinn, die Worte aus der He r zogin von Amalfi, die so passten.« Miss Marple seufzte und schnalzte mit der Zunge.
»Ich war dumm – so dumm. Wir alle waren es. Wir hä t ten es sofort merken müssen. Jene Zeilen aus der Herzogin waren der Schlüssel zu der ganzen Tragödie. Sie werden von dem Bruder gesprochen – nicht wahr? –, der gerade aus Rache seine Schwester ermordet hat, weil sie den Mann geheiratet hatte, den sie liebte. Ja, wir waren nicht sehr klug…«
»Und dann?«, fragte Giles.
»Dann führte er den ganzen teuflischen Plan aus. Er trug die Tote hinauf ins Schlafzimmer und packte den Koffer, er schrieb den Brief und warf ihn in den Papie r korb, damit er Halliday später überzeugte.«
»Ich finde«, sagte Gwenda, »dass es, von seinem Stan d punkt aus betrachtet, besser gewesen wäre, man hätte meinen Vater tatsächlich als Mörder verurteilt.«
Miss Marple schüttelte den Kopf.
»O nein, das konnte er nicht riskieren. Als Schotte hatte Kennedy eine gute Portion Gerissenheit und einen g e sunden Respekt vor der Polizei. Es brauchte eine Menge überzeugender Beweise, bis diese jemand eines Mordes für schuldig hält. Vielleicht hätte man viele unangenehme Fragen darüber gestellt, wer sich wann und wo aufgeha l ten hatte. Nein, ich finde, sein Plan war einfacher und viel teuflischer. Er brauchte nur seinem Schwager einzureden, dass er erstens seine Frau getötet hatte und zweitens ve r rückt war. Er machte ihn glauben, er müsse in eine Ne r venklinik. Kennedy wollte nämlich gar nicht, dass Hall i day alles für eine Halluzination hielt, obwohl er uns g e genüber
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