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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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informieren, trotzdem nagten gewisse Ängste an ihr. Oder waren die ernst zu nehmen? Vielleicht steckte dahinter nur die Neugier, was Morris ihr mitteilen wollte. Er würde sich rechtzeitig melden, sagte sie sich, sie würden sich treffen, und er würde ihr mitteilen, was er herausgefunden hatte. Als sie zu Hause war, prüfte sie als Erstes die Fallen in ihrem Zimmer – Sylvia hatte nicht in ihren Sachen gewühlt, wie sie mit fast lachhafter Beglückung feststellte. Manchmal hatte sie dieses ewige Misstrauen, die ständige Wachsamkeit gründlich satt – wie kann man überhaupt so leben?, fragte sie sich. Immer auf der Hut sein, alles beargwöhnen und ständig in Angst, verraten zu werden, aufzufliegen. Sie machte sich eine Tasse Kaffee, rauchte eine Zigarette und wartete auf Morris’ Anruf.
    Als Sylvia nach Hause kam, fragte Eva ganz beiläufig, ob sie Morris an diesem Tag im Rockefeller Center gesehen hatte. Sylvia verneinte und erinnerte sie daran, wie viele hundert Leute dort jetzt arbeiteten, wie sehr die BSC gewachsen war – wie ein Großunternehmen, das zwei ganze Etagen des Wolkenkratzers mit seinen vollgestopften Büros ausfüllte und sich schon auf weitere Etagen ausweitete. Morris hätte eine ganze Woche dort verbringen können, ohne dass sie ihm begegnet wäre.
    Gegen sieben beschlich Eva eine leichte, aber hartnäckig bohrende Unruhe. Sie rief bei Transoceanic an und erhielt vom Diensthabenden die Auskunft, dass Mr Devereux den ganzen Tag nicht im Büro gewesen sei. Darauf rief sie Angus Woolf in seinem Apartment an, aber er nahm nicht ab, obwohl sie es lange klingeln ließ.
    Gegen halb acht verabschiedete sich Sylvia, um mit einem Freund ins Kino zu gehen – Der Malteserfalke –, und ließ Eva allein in der Wohnung zurück. Sie setzte sich hin und starrte das Telefon an – das Dümmste, was sie tun konnte, es war ihr klar, aber ihr war trotzdem wohler dabei. Sie versuchte, ihr letztes Gespräch mit Morris zu rekonstruieren. Ganz deutlich hörte sie sein leises »Jesus Maria!«, als er irgendeine Erleuchtung hatte, als er das fehlende Glied irgendeiner Kette entdeckte. Seine Stimme klang eher schockiert als erschrocken, dachte sie, als wäre die mögliche Erklärung so … unerwartet, so drastisch, dass ihm unwillkürlich dieser Ausruf entfuhr. Er wollte sie einweihen, sonst hätte er den Treff im Kino nicht vorgeschlagen, und vor allem wollte er unter vier Augen mit ihr sprechen. Unter vier Augen. Sie überlegte. Warum konnte er mir nicht durch die Blume sagen, was er zu sagen hatte? Ich hätte ihn schon verstanden. Vielleicht war die Botschaft zu schockierend, zu niederschmetternd?
    Sie beschloss, gegen alle Regeln in seinem Apartment anzurufen.
    »Ja?«, sagte ein Mann mit amerikanischem Akzent.
    »Könnte ich Elizabeth Wesley sprechen, bitte?«, sagte sie ebenfalls auf Amerikanisch.
    »Ich glaube, Sie sind falsch verbunden.«
    »Verzeihung.«
    Sie legte auf und griff ihren Mantel. Auf der Straße fand sich schnell ein Taxi, das sie nach Murray Hill fuhr. Morris wohnte dort in einem Hochhaus, einem anonymen Wohnturm wie sie alle. Sie ließ das Taxi ein paar Straßen entfernt halten und lief den Rest zu Fuß. Vor dem Hauseingang parkten zwei Polizeiautos. Im Vorbeigehen sah sie den Portier hinter seinem Pult Zeitung lesen. Sie wartete fünf Minuten, bis ein Pärchen kam, das einen Schlüssel hatte, folgte ihm schnell durch die Tür und begann zu schnattern: »Entschuldigung, Sie wissen nicht zufällig, ob Linda und Mary Weiss in der sechzehnten oder der siebzehnten Etage wohnen? Ich bin eben von ihnen weg und hab meine Börse vergessen. Und ich wollte in den Club. Man hält es nicht für möglich.« Der Mann winkte dem Portier zu, der von seiner Zeitung aufsah, das beschwingte Trio zur Kenntnis nahm und weiterlas. Das Pärchen kannte die Weiss-Schwestern leider nicht, aber Eva fuhr mit ihren neuen Freunden bis in die zehnte Etage – wo sie ausstiegen –, dann weiter in die dreizehnte und lief die Feuertreppe hinab zur zwölften, wo Morris wohnte.
    Vor seinem Apartment standen Polizisten zusammen mit Angus Woolf. Angus Woolf? Was macht der hier?, dachte sie. Und mit einem Schlag wurde ihr übel. Sie begriff, dass Morris tot sein musste.
    »Angus«, rief sie leise und ging auf ihn zu. »Was ist passiert?«
    Angus signalisierte den Polizisten, dass sie Zutritt hatte, und stakste mit seinen Krücken hastig auf sie zu. Sein Gesicht war bleich.
    »Verschwinde lieber, Eve«, sagte er. »Hier ist

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