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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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fünfunddreißig. Eva war zum besten Tisch geleitet worden, an einem Erkerfenster, das auf die Frith Street blickte. Sie trank zwei Gin Tonic und vertrieb sich die Zeit damit, ein französisches Pärchen zwei Tische weiter zu belauschen, das sich mit nicht allzu gedämpfter Stimme stritt – vor allem ging es um die grässliche Mutter des Mannes. Als Romer erschien, brachte er weder eine Entschuldigung vor, noch machte er eine Bemerkung über ihr Aussehen, sondern bestellte sofort eine Flasche Chianti. »Der beste Chianti von London. Ich komme nur wegen des Chianti her.« Sein Hochgefühl war nach dem Verlassen des Savoy eher noch intensiver geworden, und während sie die Vorspeisen bestellten und verzehrten, sprach er wortreich und voller Verachtung über die »Zentrale«. Sie hörte nur halb zu und zog es stattdessen vor, ihm beim Trinken, Rauchen und Essen zu zusehen. Was sie mitbekam, war, dass die Zentrale mit der Idioten-Elite von London besetzt war, dass die Leute, mit denen er zu tun hatte, entweder abgehalfterte Beamte der indischen Kolonialbehörde waren oder sich aus den Herrenclubs der Pall Mall rekrutierten. Letztere verachteten die Ersteren als kleinbürgerliche Karrieristen, während Erstere die Letzteren als Wechselempfänger bezeichneten, die ihren Job nur dem Umstand verdankten, dass sie mit dem Chef in Eton gewesen waren.
    Er zeigte mit der Gabel auf sie – er aß, was die Speisekarte als Kalb Milanese auswies; sie hatte gepökelten Kabeljau mit Tomaten bestellt.
    »Wie sollen wir eine erfolgreiche Firma betreiben, wenn der Aufsichtsrat so drittklassig ist?«
    »Ist Mr X drittklassig?«
    Er schwieg, und sie sah, wie es in ihm arbeitete, wie er überlegte, woher sie von Mr X wusste, bis es ihm klar war und er entschieden hatte, dass es in Ordnung war.
    Bedächtig antwortete er: »Nein. Mr X ist anders. Mr X weiß, was der AAS wert ist.«
    »War Mr X heute dabei?«
    »Ja.«
    »Welcher war es?«
    Anstelle einer Antwort griff er zum Chianti und füllte beide Gläser nach. Es war schon die zweite Flasche.
    »Trinken wir auf Ihr Wohl, Eva«, sagte er, und es klang beinahe aufrichtig. »Sie haben sich heute sehr gut geschlagen. Ich sage ungern, dass Sie unsere Haut gerettet haben, aber es ist so.«
    Sie stießen an, und er zeigte ihr das strahlende Lächeln, das sie so selten an ihm sah. An diesem Abend merkte sie zum ersten Mal, dass er sie anschaute, wie ein Mann eine Frau anschaut: ihr blondes gewelltes Haar, ihre roten Lippen, ihre geschwungenen Augenbrauen, ihren schlanken Hals, die Wölbung ihrer Brüste unter dem blauen Kleid.
    »Hm, ja«, sagte er unbeholfen. »Sie sehen sehr … schick aus.«
    »Wieso habe ich Ihre Haut gerettet?«
    Er schaute sich um; es war niemand in der Nähe.
    »Die sind jetzt überzeugt, dass das Problem auf der holländischen Seite liegt, nicht auf der britischen. Die Holländer haben uns reingeritten – ein fauler Apfel in Den Haag.«
    »Was sagen die Holländer?«
    »Die sind natürlich mordswütend. Geben uns die Schuld. Schließlich wurde ihr Chef zwangspensioniert.«
    Eva wusste, dass Romer gern im Nullcode sprach, wie das genannt wurde. Auch das gehörte zu seinen Regeln: Nullcode, wann immer möglich, keine Chiffren oder Verschlüsselungen, die waren entweder zu kompliziert oder zu leicht zu knacken. Nullcode konnte verstanden werden oder auch nicht. Und wenn nicht, weckte er keinen Verdacht.
    Eva sagte: »Nun, es freut mich, wenn ich von Nutzen war.«
    Diesmal erwiderte er nichts. Er lehnte sich zurück und schaute sie an, als sähe er sie zum ersten Mal.
    »Sie sehen sehr schön aus heute Abend, Eva. Hat Ihnen das schon mal jemand gesagt?«
    Aber sein trockener und ironischer Ton sagte ihr, dass er es nicht ernst meinte.
    »Ja«, erwiderte sie genauso trocken. »Hin und wieder.«
     
    In der verdunkelten Finsternis der Frith Street mussten sie eine Weile auf ein Taxi warten.
    »Wo wohnen Sie?«, fragte er. »In Hampstead, oder?«
    »In Bayswater.« Sie fühlte sich ein wenig betrunken nach all dem Gin und Chianti. In einem Ladeneingang stehend, schaute sie Romer nach, der vergebens hinter einem Taxi herjagte. Als er zurückkam, schulterzuckend, ein wenig zerzaust, mit verzagtem Lächeln, spürte sie den plötzlichen, fast körperlichen Drang, mit ihm im Bett zu liegen, nackt. Sie erschrak ein wenig vor ihrer Sinnlichkeit, doch dann bedachte sie, dass es mehr als zwei Jahre her war, seit sie mit einem Mann geschlafen hatte, und ihr fiel Jean-Didier ein, ihr

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