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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Pressekonferenzen.«
    »Irgendwelche netten Männer getroffen?«, fragte Sylvia und markierte einen lüsternen Blick.
    »Schön wär’s. Nur so einen fetten Unterstaatssekretär vom Landwirtschaftsministerium, der versucht hat, mich zu begrabschen …«
    »Der würde mir schon genügen«, sagte Sylvia und zog auf dem Weg in ihr Zimmer den Mantel aus.
    Manchmal staunte Eva, wie glatt und selbstverständlich ihr die Lügen über die Lippen gingen. Denk einfach, dass dich jeder ständig belügt, hatte Romer gesagt, damit kommst du am besten durch.
    Sylvia kehrte in die Küche zurück und holte einen kleinen Krug Martini aus dem Eisschrank.
    »Wir feiern«, sagte sie, dann machte sie ein schuldbewusstes Gesicht. »Sorry, das falsche Wort. Die Deutschen haben wieder einen Ami-Zerstörer versenkt – die Reuben James. Hundertfünfzehn Tote. Kaum ein Grund zum Jubeln. Aber …«
    »Mein Gott … Hundertfünfzehn …«
    »Genau. Das bringt die Wende. Jetzt können sie nicht mehr abseits stehen.«
    So viel zum Thema Mason Harding, dachte Eva. Sie sah ihn plötzlich vor sich, wie er die Unterwäsche abstreifte, wie sein Schwanz unter der Wölbung des Jungmännerbauchs hervorwuchs, wie er sich aufs Bett setzte und an der Verpackungsfolie des Kondoms zerrte. Sie stellte fest, dass sie ohne Gemütsregung an ihn denken konnte, ganz kalt, sachlich. Romer konnte zufrieden mit ihr sein.
    Während sie die Martinis einschenkte, erzählte Sylvia, dass Roosevelt eine gute, aufrüttelnd militante Rede gehalten hatte – seine kriegerischste Rede seit 1939, als er konstatiert hatte, dass nun der »Schießkrieg« begann.
    »Ach ja«, führ sie fort, »er hat eine wundervolle Landkarte – irgendeine Karte von Südamerika. Wie die Deutschen den Kontinent in fünf neue Riesenländer aufteilen wollen.«
    Eva hörte nur halb hin, aber Sylvias Begeisterung schürte in ihr ein wenig Zuversicht – das seltsame Gefühl einer flüchtigen Euphorie. Solche Anwandlungen hatte es in den zwei Jahren, seit sie zu Romers Gruppe gehörte, immer mal wieder gegeben. Obwohl sie sich ermahnte, diesen Instinktreaktionen keinesfalls zu vertrauen, konnte sie nicht verhindern, dass sie in ihr entstanden – als wäre das Wunschdenken ein angeborenes Attribut des Menschen; der Glaube an die Wendung zum Besseren ein Teil des menschlichen Bewusstseins. Sie nippte an dem kalten Drink – vielleicht ist das die Definition eines Optimisten, dachte sie. Vielleicht bin ich nicht mehr als das: eine Optimistin.
    »Also vielleicht schaffen wir’s«, sagte sie, um ihrem Optimismus Nahrung zu geben, und dachte im Stillen: Wenn die Amerikaner mitmachen, müssen wir gewinnen. Amerika, Großbritannien mit dem Empire und Russland – dann ist es nur eine Frage der Zeit.
    »Lass uns morgen Abend essen gehen«, sagte sie zu Sylvia, als sie in ihre Zimmer gingen. »Eine kleine Party sind wir uns schuldig.«
    »Vergiss nicht, dass wir uns von Alfie verabschieden müssen.«
    Eva fiel ein, dass Blytheswood den Sender verließ und nach London zurückkehrte – nach Electra House, in die GC&CS-Abhörstation im Keller des Gebäudes von Cable & Wireless am Victoria Embankment.
    »Dann können wir hinterher tanzen gehen.« Zum Tanzen hätte ich jetzt Lust, dachte Eva, als sie sich auszog und versuchte, Mason Harding und seine Finger auf ihrer Haut aus ihrem Gedächtnis zu vertreiben.
     
    Am nächsten Morgen im Büro zeigte ihr Morris Devereux eine Abschrift der Roosevelt-Rede. Sie blätterte durch die Seiten, bis sie die erwähnte Stelle gefunden hatte. »In meinem Besitz befindet sich eine Geheimkarte«, las sie, »angefertigt in Deutschland von der Hitlerregierung. Es ist eine Karte von Südamerika, die zeigt, wie Hitler den Kontinent neu ordnen möchte. Die geographischen Experten in Berlin haben Südamerika in fünf Vasallenstaaten aufgeteilt … Sie haben auch dafür gesorgt, dass einer dieser neuen Marionettenstaaten die Republik Panama umfasst und unsere große Lebensader, den Panamakanal … Diese Karte beweist, dass es die Nazis nicht nur auf Südamerika abgesehen haben, sondern ebenso auf die Vereinigten Staaten.«
    »Tja«, sagte sie zu Devereux, »ganz schön starker Tobak, findest du nicht? Wenn ich Amerikanerin wäre, würde mir jetzt ein wenig anders. Ein ganz klein bisschen mulmig, nicht wahr?«
    »Hoffen wir, dass sie es genauso sehen – auch was die Versenkung der Reuben James betrifft … Ich weiß nicht: Man sollte meinen, dass sie nicht mehr ganz so ruhig schlafen.«

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