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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Er lächelte ihr zu. »Wie war Washington?«
    »Gut. Ich habe jetzt einen guten Kontaktmann in Hopkins’ Büro«, sagte sie leichthin. »Einen Presseattaché. Den können wir mit unseren Sachen futtern.«
    »Interessant. Hat er irgendwelche Tipps gegeben?«
    »Nein, eher nicht«, erwiderte sie, nun schon vorsichtiger. »Was er zu sagen hatte, war sehr entmutigend. Der Kongress ist gegen den Krieg, FDR sind die Hände gebunden und so weiter. Aber ich gebe ihm die Übersetzungen unserer spanischen Storys.«
    »Gute Idee«, meinte er vage und ging davon.
    Eva kam ins Grübeln. In letzter Zeit interessierte er sich auffallend für ihr Treiben und ihre Arbeit. Aber warum hatte er nicht nach dem Namen des Attachés gefragt? Das war merkwürdig … Wusste er etwa schon Bescheid?
    Sie ging in ihr Zimmer und sah den Eingangskorb durch. Eine Zeitung aus Buenos Aires, Critica, hatte ihre Meldung über deutsche Seemanöver vor der südamerikanischen Atlantikküste aufgegriffen. Jetzt hatte sie einen Startpunkt. Sie schrieb die Meldung um, kennzeichnete sie als argentinische Quelle und versandte sie an alle Transoceanic-Kunden. Sie rief Blytheswood beim Radiosender WRUL an – unter Nutzung ihres verabredeten Dringlichkeitscodes, »Mr Blytheswood, hier spricht Miss Dalton« – und sagte, sie habe eine spannende Story aus Argentinien zu bieten. Blytheswood erwiderte, er sei interessiert, aber die Story müsse eine amerikanische Quelle haben, bevor er sie in alle Welt hinausschicken könne. Also sandte sie Fernschreiben an Johnson in Meadowville und Witoldski in Franklin Forks, die sie einfach mit Transoceanic signierte, und dazu eine Abschrift der wichtigsten Sätze aus Roosevelts Rede. Die beiden würden schon erraten, dass sie dahintersteckte. Wenn einer von ihnen die Meldung aus der Critica sendete, konnte sie die als Meldung einer unabhängigen US-Radiostation deklarieren. Und so würde das Märchen seinen Weg durch die Nachrichtenmedien machen, an Gewicht und Bedeutung gewinnen, sich auf immer mehr Quellen berufen können und so den Status einer unbezweifelbaren Tatsache gewinnen, die nicht mehr ahnen ließ, dass sie dem Kopf von Eva Delektorskaja entsprungen war. Schließlich würde eine der großen amerikanischen Tageszeitungen die Story aufgreifen (vielleicht mit ein bisschen Nachhilfe von Angus Woolf), und die deutsche Botschaft würde die Meldung nach Berlin kabeln. Dann kämen die Dementis, Botschafter würden einbestellt, ihre Erklärungen und Gegendarstellungen vorlegen, und das ergäbe wieder eine neue Story – oder ganze Serien davon, die Transoceanic über den Fernschreiber verbreiten konnte. Eva genoss das Gefühl der Macht, wenn sie an die große Zukunft ihrer Fälschungen dachte – sie sah sich selbst als winzige Spinne im Mittelpunkt eines wachsenden Netzes aus Unterstellungen, Halbwahrheiten und Erfindungen. Aber dann, wie eine heiße Welle, kamen die peinlichen Erinnerungen an die Nacht mit Mason Harding in ihr hoch. Ein Krieg ist immer ein dreckiger Krieg, hatte Romer wiederholt gesagt, wer da hineingeht, muss mit allem rechnen.
     
    Sie lief nach Hause, am Central Park South entlang, und betrachtete die Bäume, deren Laub sich gelb und orange verfärbte, als sie Schritte hinter sich bemerkte, die genau ihrem Rhythmus folgten. Das war einer der Tricks, die sie in Lyne gelernt hatte; er war fast so effektiv, als würde man jemandem auf die Schulter tippen. Sie blieb stehen, um einen Schnürsenkel festzuknoten, blickte dabei nach hinten und sah Romer, der wie gebannt ins Schaufenster eines Juweliers starrte. Er machte auf dem Absatz kehrt, und nach kurzem Abwarten folgte sie ihm in die Sixth Avenue, wo er in einem großen Delikatessenimbiss verschwand. Sie stellte sich in die Warteschlange, er bekam ein Sandwich und ein Bier und setzte sich damit in eine belebte Ecke. Sie nahm einen Kaffee und ging zu ihm hinüber.
    »Hallo«, sagte sie. »Darf ich?«
    Sie setzte sich.
    »Sehr konspirativ«, sagte sie.
    »Wir müssen vorsichtiger werden«, erwiderte er. »Doppelt und dreifach sichern. Um ehrlich zu sein, interessieren sich manche unserer amerikanischen Freunde ein bisschen zu sehr dafür, was wir hier treiben. Ich glaube, wir sind zu groß geworden; die Ausmaße, die das angenommen hat, sind nicht mehr zu übersehen. Also: Wachsamkeit steigern, noch besser absichern, noch mehr auf Beschatter achten, falsche Freunde, seltsame Geräusche im Telefon. Das ist nur so eine Vermutung – aber wir sind alle ein

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