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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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überzogen von den geplanten Routen der Lufthansa.« Er kicherte amüsiert.
    Eva steckte ihr Notizbuch weg und nutzte die Pause, um nachzudenken. Ihre Gutgläubigkeit, ihre Verletzlichkeit stellten immer noch ein Problem dar, wie ihr nun bewusst wurde. War sie zu leicht zu überrumpeln? Nie etwas glauben, hatte Romer gesagt. Auf keinen Fall. Immer nach anderen Erklärungen suchen, anderen Möglichkeiten, der Kehrseite.
    Als sie wieder aufschaute, sah sie, dass sich sein Blick geändert hatte. Jetzt hätte sie ihn zärtlich genannt, mit einer Unterströmung von Begehrlichkeit.
    »Du fehlst mir, Eva.«
    »Du mir auch, Lucas. Was können wir dagegen tun?«
    »Ich will dich zu einem Kurs nach Kanada schicken. Umgang mit Dokumenten, Ablage, solche Sachen.«
    Sie wusste, dass er Station M meinte – ein Fälscherlabor der BSC unter dem Dach der Canadian Broadcasting Company.
    Station M stellte alle ihre gefälschten Dokumente her – auch die Karte stammte von dort, wie sie vermutete.
    »Wie lange?«
    »Ein paar Tage – aber du darfst ein bisschen Urlaub machen, bevor du abreist, als Belohnung für deine gute Arbeit. Ich schlage Long Island vor.«
    »Long Island? Wirklich?«
    »Ja. Ich kann dir das Narragansett Inn in St. James empfehlen. Ein Mr und eine Mrs Washington haben dort für dieses Wochenende ein Zimmer gebucht.«
    Sofort spürte sie das Verlangen in sich aufsteigen.
    »Hingt nett«, sagte sie, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Da können sich Mr und Mrs Washington aber freuen.« Sie stand auf. »Ich muss jetzt los. Sylvia und ich, wir wollen uns heute noch amüsieren gehen.«
    »Seid aber vorsichtig. Äußerst wachsam«, sagte er mit Ernst, plötzlich wie ein besorgter Vater. Sie wollte ihn küssen, mehr als alles andere, sein Gesicht berühren.
    »Zu Befehl«, erwiderte sie.
    Er stand auf und ließ ein paar Münzen als Trinkgeld liegen. »Hast du dir ein sicheres Quartier besorgt?«
    »Ja«, sagte sie. Ihr Quartier in New York war ein Zimmer mit kaltem Wasser in Brooklyn. »Ich habe etwas außerhalb der Stadt.« Es war beinahe die Wahrheit.
    »Gut.« Er lächelte. »Viel Spaß im Urlaub.«
     
    Am Freitagabend fuhr Eva mit dem Zug nach Long Island. In Farmingdale stieg sie aus und fuhr mit dem nächsten Zug zurück nach Brooklyn. Sie verließ den Bahnhof, lief zehn Minuten umher und bestieg dann einen Zug der Zweiglinie, der in Port Jefferson endete. Von dort fuhr sie mit dem Taxi zum Busbahnhof von St. James. Während der Taxifahrt beobachtete sie die Autos, die hinter ihr fuhren. Da war eins, das immer Abstand zu halten schien, aber als sie den Fahrer bat, langsamer zu fahren, überholte es flink. Vom Busbahnhof ging sie zu Fuß zum Narragansett Inn – unbeschattet, soweit sie es beurteilen konnte –, sie hielt sich streng an Romers Instruktionen. Das Inn war ein großes, bequemes, cremefarbenes Holzhaus am Stadtrand, wie sie erfreut feststellte, von ferne sah man die Dünen. Vom Sund wehte ein kalter Wind herüber, und sie war froh, dass sie ihren Mantel hatte. Romer erwartete sie im Clubzimmer, wo ein Treibholzfeuer im Kamin knisterte. Mr und Mrs Washington gingen sofort hinauf in ihr Zimmer und ließen sich erst am nächsten Morgen wieder blicken.

8
Brydges’
    Ich las meiner Mutter den Brief vor:
     
    Liebe Ms Gilmartin,
    Lord Mansfield bedankt sich für Ihr Schreiben, bedauert aber, dass er sich wegen Arbeitsüberlastung nicht in der Lage sieht, Ihrem Wunsch nach einem Interview zu entsprechen.
    Hochachtungsvoll
    Anna Orloggi
    (Sekretärin bei Lord Mansfield)
     
    »Geschrieben auf dem Briefpapier des Oberhauses«, fügte ich hinzu. Meine Mutter lief quer durch das Zimmer, nahm mir das Blatt ab und untersuchte es mit ungewöhnlicher Sorgfalt, ihre Lippen bewegten sich, als sie die knapp formulierte Absage las. Ich war mir nicht sicher, ob sie erregt war oder nicht. Sie schien allerdings recht ruhig.
    »Anna Orloggi … Das ist köstlich«, sagte sie. »Ich wette, sie existiert gar nicht.« Dann schaute sie erneut. »Sieh mal, da steht seine Telefonnummer.« Sie begann in meinem Wohnzimmer auf und ab zu marschieren. Gekommen war sie wegen eines Termins bei Mr Scott – eine Krone hatte sich gelockert –, und sie war unangekündigt heraufgekommen, um nach mir zu sehen. Der Brief war am Morgen eingetroffen.
    »Möchtest du etwas trinken?«, fragte ich. »Saft? Coca-Cola?« Es war meine Mittagspause: Bérangère war gerade gegangen, und Hamid sollte um vierzehn Uhr kommen. Ludger und Ilse waren nach

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