Ruheloses Herz
Stapel mit unerledigtem Papierkram. Als das Telefon erneut zu läuten begann, atmete sie ungehalten aus. Mach einfach alles der Reihe nach, bis du fertig bist, ermahnte sie sich.
Also erledigte sie die erste Sache, dann die zweite, und als ihr Vater hereinkam, saß sie gerade an der dritten.
Er blieb auf der Schwelle stehen und hielt eine Hand hoch. »Moment, sagen Sie jetzt nichts. Ihr Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor.« Er kniff nachdenklich die Augen zusammen, während sie ihre verdrehte. »Ich bin mir sicher, dass wir uns schon mal irgendwo begegnet sind. War’s in Tibet? Mazetlan? Ah, jetzt fällt es mir ein, es war vor zwei Jahren am Abendbrottisch!«
»Es liegt noch nicht länger zurück als eine Woche.« Sie hob ihm das Gesicht entgegen, als er sich zu ihr hinunterbeugte, um sie zu küssen. »Aber du hast mir auch gefehlt. Ich stecke bis über beide Ohren in Arbeit.«
»Das habe ich gehört.« Er blätterte die Zeitschrift durch und hielt bei dem Artikel über sie inne. »Hübsches Mädchen. Ich wette, ihre Eltern sind stolz auf sie.«
»Das hoffe ich.« Als das Telefon klingelte, unterdrückte sie einen Aufschrei und wedelte abwehrend mit den Händen. »Diesmal soll der Anrufbeantworter übernehmen. Es klingelt schon seit Sonntag ununterbrochen. Dabei haben fünfzig Prozent der Eltern, die wegen Reitstunden anrufen, ihre Kinder noch nicht einmal gefragt, ob sie überhaupt Interesse haben.«
Sie stieß sich mit den Füßen ab, sodass ihr Stuhl zu dem kleinen Kühlschrank rollte, aus dem sie zwei Softdrinks herausnahm. »Aber trotzdem danke.«
»Wofür?«, fragte Travis, während er eine Flasche entgegennahm.
»Dass du immer wieder fragst.«
»Nichts zu danken. Wie ich gehört habe, gehe ich heute Abend mit zwei schönen Frauen aus.«
»Hat Mo dich erwischt?«
Er lachte leise, bevor er einen Schluck aus der Flasche trank. »Wir hatten schon seit einer Ewigkeit kein Familientreffen mehr«, ahmte er seine Nichte nach. »Liebst du mich denn überhaupt nicht mehr?«
»Sie weiß genau, welche Knöpfe sie drücken muss.« Keeley musterte die abgestoßenen Spitzen ihrer Stiefel. »Äh … hast du eigentlich von Brendon irgendetwas gehört?«
»Gestern Abend. Sie wollten eigentlich heute zurückkommen.«
»Das ist gut.« Zumindest einmal hätte sie der Mann ruhig anrufen können. Mit finsterem Gesicht schaute sie auf ihre Stiefel. Oder wenigstens ein Telegramm schicken, irgendein verdammtes Rauchzeichen.
»Ich kann mir vorstellen, dass Brian es eilig hat zurückzukommen.«
Sie riss den Kopf hoch. »Ach ja? Wieso?«
»Betty macht Fortschritte – wie verschiedene andere Jährlinge auch. Aber sie macht ihre Sache auf der Rennbahn besonders gut. Brian kann sie jetzt voll übernehmen.«
»Ich habe sie kürzlich beim Morgentraining beobachtet. Sie hat viel Kraft.«
»Unser Nachwuchs auf Royal Meadows ist erstklassig.« In seiner Stimme schwang ein fast wehmütiger Unterton mit, der Keeley veranlasste, erstaunt die Augenbrauen hochzuziehen.
»Was ist los?«
»Nichts.« Travis zuckte die Schultern und stand auf. »Außer, dass ich langsam alt werde.«
»Also wirklich.«
»Erst gestern bist du noch auf meinen Schultern geritten«, sagte er leise. »Im Haus war ein Heidenlärm. Fußgetrappel von Kindern, die ständig die Treppen rauf- und runterrannten, Türengeknalle. Dauernd stolperte man über irgendwelches Spielzeug. Ich weiß gar nicht, wie oft ich auf eins von Bradys verdammten kleinen Spielzeugautos getreten bin.«
Er wandte sich ab und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Das fehlt mir, ihr fehlt mir alle.«
»Daddy.« Geschmeidig erhob Keeley sich und legte die Arme um ihn.
»So ist das Leben eben. Drei von euch sind auf dem College, und Brendon ist ständig geschäftlich unterwegs. Ihm gefällt es, so wie es ist. Und du baust dir etwas Eigenes auf. Aber … ich vermisse einfach euren ständigen Krach.«
»Ich verspreche dir, bei nächster Gelegenheit die Türen zu knallen.«
»Vielleicht hilft das ja.«
»Du bist sentimental. Und dafür liebe ich dich.«
»Mein Glück.« Er drückte sie kurz und fest, dann schaute er auf das Telefon, das schon wieder klingelte. »Aber eigentlich bin ich nicht gekommen, um dir etwas vorzujammern, sondern um dir einen beruflichen Rat zu geben.« Er lehnte sich etwas zurück, um ihr in die Augen sehen zu können. »Du brauchst hier dringend Hilfe.«
»Ich werde darüber nachdenken. Wirklich«, fügte sie hinzu, als er sie skeptisch musterte.
Weitere Kostenlose Bücher