Ruhig Blut!
weiter mit ihr reden.
»Weil der Prophet Brutha auf Fleisch verzichtete, als er… ähm…
durch die Wüste wanderte.«
»Was erdichtete?«
»Wie bitte?«
»Entschuldigung, ich habe dabei an etwas anderes gedacht.« Agnes soll
te es eigentlich besser wissen, aber sie wehrte sich nicht gegen die Neugier. »Welches Fleisch gibt es in der Wüste?«
»Keins… ähm… glaube ich.«
»Der Prophet Brutha hat also keine Wahl getroffen.«
Agnes sah zu der Menge – niemand schien geneigt zu sein, an ihrem Gespräch mit dem omnianischen Priester teilzunehmen.
»Ähm… das mußt du… ähm… Pater Melchio fragen. Tut mir sehr leid. Ich fürchte, ich bekomme Migräne…«
Du glaubst kein Wort von dem, was du sagst, oder? dachte Agnes. Er strahlte Nervosität und dumpfes Entsetzen aus. Was für ein armseliger kleiner Wurm, fügte Perdita hinzu.
»Ich muß… äh… ich muß jetzt gehen und… ich muß jetzt gehen und… helfen«, sagte Agnes und wich zurück. Hilbert Himmelwärts nickte. Als sie ging, putzte er sich erneut die Nase, holte ein kleines schwarzes Buch hervor, seufzte und schlug es beim Lesezeichen auf.
Agnes griff nach einem Tablett, um ihr Alibi etwas glaubwürdiger erscheinen zu lassen, trat zum Büffettisch, sah noch einmal zu der einsamen Gestalt zurück, die so fehl am Platz wirkte wie ein verirrtes Schaf – und stieß gegen jemanden, der so massiv zu sein schien wie ein Baum.
»Wer ist diese seltsame Person?« erklang eine Stimme an ihrem Ohr. Agnes hörte, wie Perdita sie dafür verfluchte, daß sie zur Seite gesprungen war. Sie riß sich zusammen und blickte mit einem schiefen Lächeln zu dem Sprecher.
Es war ein junger Mann, und ein attraktiver dazu. In Lancre wimmelte es nicht gerade von attraktiven Männern – hier galt es als chic, sich die Hand zu belecken und damit das Haar glattzustreichen, bevor man eine junge Dame ausführte.
Er hat einen Pferdeschwanz ! quiekte Perdita. He, das ist cool !
Agnes spürte, wie sie irgendwo im Bereich der Knie zu erröten begann. Die Hitze dehnte sich aus und wuchs nach oben.
»Äh… wie bitte?« erwiderte sie.
»Man kann ihn praktisch riechen«, sagte der Mann und nickte andeutungsweise in Richtung des armen Priesters. »Sieht aus wie eine schmuddelige kleine Krähe, findest du nicht?«
»Äh… ja«, brachte Agnes hervor. Die Hitze erreichte ihre Brust und setzte den unaufhaltsamen Aufstieg fort. Ein Mann mit einem Pferdeschwanz – so etwas hatte es in Lancre bisher noch nicht gegeben. Seine Kleidung verriet, daß er an einem Ort gewesen war, wo sich die Mode nicht nur einmal im Leben änderte. Niemand in Lancre hatte jemals eine Weste mit aufgestickten Pfauen getragen.
Sag etwas ! heulte Perdita in ihrem Innern.
»Wsfgl?« fragte Agnes. Hinter ihr stand Hilbert Himmelwärts auf und inspizierte argwöhnisch die Speisen.
»Ich bitte um Verzeihung?«
Agnes schluckte, unter anderem deshalb, weil Perdita sie am Hals zu schütteln versuchte.
»Er erweckte tatsächlich den Eindruck, als könnte er jeden Augenblick davonfliegen, nicht wahr?« sagte sie. Oh, bitte, laß mich jetzt nicht kichern… Der Mann schnippte mit den Fingern. Ein mit Getränken vorbeieilender Kellner drehte sich um neunzig Grad.
»Darf ich dir etwas zu trinken anbieten, Fräulein Nitt?«
»Äh… Weißwein?« flüsterte Agnes.
»Nein, du möchtest keinen Weißwein, roter hat mehr… Farbe.« Er
nahm ein Glas und reichte es ihr. »Und was macht der Bursche jetzt? Oh, er genehmigt sich einen Keks mit einem kleinen Klecks Pastete…« Frag ihn nach seinem Namen! rief Perdita. Nein, das wäre ziemlich dreist von mir, dachte Agnes. Dann sei dreist, du blöder Trampel…
»Bitte erlaube mir, mich vorzustellen«, sagte der Mann freundlich. »Ich bin Vlad. Und was nimmt er jetzt in Angriff? Oh, ja, einen Krabbencocktail. Krabben hier oben? König Verence hat offenbar keine Kosten gescheut.«
»Er hat sie eisgekühlt aus Gennua kommen lassen«, murmelte Agnes. »Dort soll es sehr leckere Meeresfrüchte geben.«
»Ich bin nie in Gennua gewesen«, hauchte Agnes. Perdita sank in ihr zu Boden und schluchzte.
»Vielleicht könnten wir diese Stadt eines Tages besuchen, Agnes«, sagte Vlad.
Die Hitze erreichte ihren Hals.
»Es ist sehr warm hier drin, findest du nicht?« meinte Vlad. »Das liegt am Feuer«, erwiderte Agnes. »Es brennt dort drüben«, fügte
sie hinzu und deutete zum gewaltigen Kamin des Großen Saals, in dem sich der größte Teil eines Baums ziemlich schnell in Asche
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