Ruhig Blut!
anlockte. Aber es war ein königliches Zimmer, nicht so öffentlich wie der Große Saal. Hier empfing der König Gäste, wenn er ganz offiziell inoffiziell sein wollte.
Nanny Oggs Expeditionskorps rückte über die lange Wendeltreppe vor. Im Solarium angekommen, führte die alte Hexe ihre Streitmacht zu der am Kamin sitzenden Gruppe.
Nanny holte tief Luft.
»Ah, Frau Ogg«, sagte Verence verzweifelt. »Bitte leiste uns Gesellschaft.«
Agnes musterte Nanny von der Seite her und beobachtete, wie ein sonderbares Lächeln in ihrem Gesicht erschien.
Der Graf saß in einem großen Sessel am Feuer, und Vlad stand hinter ihm. Beide wirkten sehr attraktiv, fand Agnes. Im Vergleich mit ihnen schien Verence, dessen Kleider ihm nie richtig zu passen schienen und der immer einen von Sorgen gequälten Eindruck erweckte, fehl am Platz zu sein.
»Der Graf hat uns gerade erklärt, auf welche Weise Lancre zu einem Herzogtum seiner Länder in Überwald wird«, sagte Verence. »Uns bleibt der Titel eines Königreichs erhalten, was ich sehr freundlich von ihm finde, meinst du nicht?«
»Ein ausgezeichneter Vorschlag«, erwiderte Nanny.
»Natürlich werden wir Steuern erheben«, verkündete der Graf. »Keine hohen – immerhin wollen wir euch nicht ausbluten, im übertragenen Sinne!« Er strahlte über den eigenen Scherz.
»Dagegen läßt sich kaum etwas einwenden«, erklang Nannys Stimme. »Nicht wahr?« erwiderte der Graf. »Ich wußte ja, daß sich alles prima
regeln läßt. Und deine moderne Einstellung behagt mir sehr, Verence. Wißt ihr, die meisten Leute haben völlig falsche Vorstellungen von Vampiren. Sind wir teuflische Mörder?« Er lächelte. »Natürlich sind wir das. Aber nur dann, wenn es notwendig ist. Offen gesagt: Wir könnten wohl kaum darauf hoffen, ein Land zu regieren, wenn wir dauernd Leute umbrächten. Ich meine, dann gäbe es bald keine Untertanen mehr!« Höfliches Gelächter erklang, am lautesten vom Grafen selbst.
Für Agnes klang das alles vollkommen sinnvoll. Der Graf war zweifellos ein sehr vernünftiger Mann. Wer anders dachte, verdiente den Tod.
»Und wir sind nur Menschen«, fuhr der Graf fort. »Nun, eigentlich nicht nur Menschen. Wenn man uns sticht – bluten wir dann nicht? Welch eine Verschwendung.«
Sie haben dich erneut erwischt, erklang eine Stimme hinter Agnes’ Stirn. Vlad drehte ruckartig den Kopf, und Agnes fühlte seinen durchdringenden Blick.
»Immerhin sind wir auf der Höhe der Zeit«, sagte der Graf. »Und ich muß sagen: Uns gefällt, was du mit diesem Schloß gemacht hast.«
»Ach, die Fackeln daheim«, stöhnte die Gräfin und rollte mit den Augen. »Und dann einige der Dinge im Verlies… Als ich sie sah, wäre ich fast vor Scham gestorben. Wie… vor fünfzehn Jahrhunderten. Wenn man ein Vampir ist, so ist man eben ein Vampir.« Sie lächelte mißbilligend. »Särge, ja, natürlich. Aber man muß doch nicht dauernd herumschleichen, als schämte man sich der eigenen Natur. Wir alle haben… Bedürfnisse.«
Ihr steht da wie Kaninchen vor einem Fuchs! heulte Perdita in den Gewölben von Agnes’ Gehirn.
»Oh!« Die Gräfin klatschte in die Hände. »Wie ich sehe, habt ihr ein Pianoforte!«
Es stand unter einem Tuch in der Ecke, und zwar schon seit Monaten. Verence hatte eins bestellt, weil solche Musikinstrumente als äußerst schick galten, aber es gab nur eine Person, die wirklich mit Freuden darauf spielte: Nanny Ogg. Sie war gelegentlich vorbeigekommen, um ein wenig auf den Tasten zu klimpern. * Auf Magrats Befehl hin wurde das Ding zugedeckt, und es ging das Gerücht, sie hätte Verence das Fell über die Ohren gezogen, weil er etwas gekauft hatte, das ein toter Elefant war.
»Lacrimosa würde so gern für uns spielen«, befahl die Gräfin. »Ach, Mutter «, erwiderte Lacrimosa.
»Wir finden bestimmt großen Gefallen daran«, sagte Verence. Agnes bemerkte den Schweiß in seinem Gesicht nur deshalb, weil Perdita darauf hinwies. Er versucht, dagegen anzukämpfen. Bist du nicht froh, daß du mich hast?
Sie holten ein Bündel Notenpapier aus dem Pianostuhl hervor, und die junge Dame nahm Platz. Sie sah Agnes an, bevor sie begann. Es funkte zwischen ihnen, aber diese Funken erforderten die Evakuierung des ganzen Gebäudes.
Es ist nichts als Krach, sagte Perdita nach den ersten Takten. Aber alle sehen so hingerissen aus, als klänge es wundervoll!
Agnes konzentrierte sich. Die Musik war herrlich, aber wenn sie mit Perditas Hilfe wirklich darauf achtete… dann
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