Ruhig Blut!
war, daß er die Vogelwelt aus einem recht militaristischen Blickwinkel sah. Es gab Vögel, die man jagte, und es gab andere, mit denen man jagte. Es existierten natürlich noch andere, die in Bäumen zwitscherten und so, aber die zählten eigentlich nicht. Ihm fiel ein, daß es eigentlich keinen besseren Jagdvogel gab als den Phönix.
Das neue Exemplar war bestimmt noch schwach und konnte nicht weit gekommen sein.
Leider enthielt das Buch nicht nur ein Bild, sondern gleich mehrere, gezeichnet von Falknern, die behaupteten, einen Feuervogel gesehen zu haben.
Die dargestellten Vögel ähnelten sich nur darin, daß sie Flügel und einen Schnabel hatten. Einer hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Reiher, ein anderer mit einer Gans. Ein Bild zeigte sogar einen Vogel, der sich zu Festgreifaahs großem Erstaunen kaum von einem Spatz unterschied. Er fand das sehr verwirrend und entschied sich für eine Zeichnung, die zumindest ein wenig exotisch wirkte.
Er blickte zu den an Haken hängenden Vogelhandschuhen. Er verstand sich gut darauf, Jungvögel großzuziehen. Zuerst fraßen sie ihm aus der Hand, und später hielten sie die Hand selbst für schmackhafter.
Ja. Ein junges Exemplar abrichten… Einen besseren Jagdvogel konnte es gar nicht geben.
Festgreifaahs Phantasie versagte bei dem Versuch, sich einen Phönix als Beute vorzustellen. Wie sollte man ihn zum Beispiel kochen? … und in der dunkelsten Ecke des Vogelhorts hüpfte etwas auf eine Sitzstange…
Erneut mußte Agnes laufen, um mit Nanny Ogg Schritt zu halten, als diese mit energisch pumpenden Ellenbogen über den Hof stapfte. Die alte Hexe näherte sich mehreren an einem Faß stehenden Männern und packte zwei von ihnen am Arm, wodurch sie Bier verschütteten. Normalerweise wäre das eine große Herausforderung gewesen, vergleichbar mit dem Wurf eines Fehdehandschuhs oder, in weniger erhabener Gesellschaft, mit dem Zerschlagen einer Flasche an der Thekenkante.
Doch in diesem Fall kam die »Provokation« von Nanny Ogg, weshalb die Männer verlegen wirkten. Ein oder zwei scharrten sogar mit den Füßen und versuchten, ihren Bierkrug hinter dem Rücken zu verbergen.
»Jason? Darren? Ihr kommt mit«, befahl Nanny. »Wir haben es auf Vampire abgesehen, klar? Hat jemand spitze Pflöcke dabei?«
»Nein, Mama«, sagte Jason, Lancres einziger Schmied. Dann hob er die Hand. »Aber vor zehn Minuten kam der Koch und fragte, ob jemand die komischen Dinger mit dem vielen Knoblauch wollte, und ich habe sie gegessen.«
Nanny schnupperte, trat einen Schritt zurück und fächelte mit der Hand vor ihrem Gesicht. »Ja, das sollte eigentlich genügen«, meinte sie. »Du rülpst ordentlich, wenn ich dir ein Zeichen gebe, in Ordnung?«
Agnes nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Ich bezweifle, daß das klappt, Nanny.«
»Wieso denn? Mich hätte es fast umgehauen.«
»Ich habe es dir doch gesagt. Selbst wenn es klappen könnte – du kommst gar nicht nahe genug heran. Perdita hat es ganz deutlich gespürt. Es ist so, als… wäre man betrunken.«
»Diesmal bin ich vorbereitet«, erwiderte Nanny. »Ich habe das eine oder andere von Esme gelernt.«
»Ja, aber sie…« Agnes wollte sagen: Ja, aber sie kann das besser als du. Doch sie korrigierte sich im letzten Augenblick: »… ist nicht hier.«
»Mag sein. Aber ich trete den Vampiren lieber jetzt gegenüber, als Esme später erklären zu müssen, warum ich auf eine Konfrontation verzichtet habe. Kommt.«
Agnes folgte den Oggs voller Unbehagen. Sie wußte nicht, wie weit sie Perdita vertrauen konnte.
Einige Gäste waren heimgekehrt, doch das Festmahl im Schloß bot viele kulinarische Attraktionen, und ganz gleich, aus welcher gesellschaftlichen Schicht die Lancrestianer stammten: Sie neigten nicht dazu, sich einfach von so schwer beladenen Tischen abzuwenden.
Nanny sah sich in der Menge um und hielt Shawn fest, der mit einem Tablett vorbeikam.
»Wo sind die Vampire?«
»Wer, Mama?«
»Der Graf… Elster oder so.«
»Elstyr«, verbesserte Agnes.
»Ja«, bestätigte Nanny.
»Er ist nicht… Er ist oben im… Solarium, Mama. Sie sind alle… Warum riecht es hier so nach Knoblauch, Mama?«
»Das ist dein Bruder. Na schön, laßt uns gehen.«
Das sogenannte Solarium befand sich ganz oben im Schloß. Es war alt, kalt und zugig. Auf die ausdrückliche Bitte der Königin hin hatte Verence die großen Fenster verglasen lassen, was allerdings bewirkte, daß der große Raum nun besonders hinterlistige und beharrliche Zugluft
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